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Sicherheit ­– ganzheitlich gedacht

12. Februar 2024 - von Dr. Theodor Benien

Nach langem Ringen hat Deutschland erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie. Die Bundesregierung propagiert darin eine Politik der integrierten Sicherheit. Mögliche Bedrohungen sollen zukünftig durch eine bessere ministerienübergreifende Zusammenarbeit abgewehrt werden.

Kompass für Deutschlands Sicherheit

In ihrem Grundsatzdokument analysiert die Bundesregierung die politischen und strategischen Rahmenbedingungen in Europa und definiert die Sicherheitsinteressen Deutschlands. Die strategischen Bausteine und deren Ziele sind:

Wehrhaftigkeit. Sie umfasst zum Beispiel eine glaubwürdige Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit, den Ausbau des europäischen Pfeilers in der NATO sowie die Stärkung der Landes- und Bündnisverteidigung.

Resilienz. Die freiheitliche demokratische Grundordnung soll gegen Spionage, Sabotage und Desinformation sowie vor Cyber-Angriffen geschützt werden, um das Vertrauen in eine „wehrhafte Demokratie“ zu fördern. Entscheidend für die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit ist laut Strategie eine starke Innovationskraft. Deshalb ist die technologische und digitale Souveränität elementarer Bestandteil der integrierten Sicherheit.

Nachhaltigkeit. Gleich der erste Satz in dem Unterkapitel zu diesem Strategie-Baustein fasst dessen wichtigste Aussage zusammen: „Globale Klima-, Umwelt-, Ernährungs- und Ressourcenpolitik ist Sicherheitspolitik.“ Den Rahmen für politisches Handeln im Sinne dieses Bausteins soll die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren globalen Nachhaltigkeitszielen bilden.

Das vollständige Strategie-Papier ist hier zu lesen.

Wehrhaft, resilient, nachhaltig – so will die Bundesregierung Deutschland mit ihrer Politik der „integrierten Sicherheit“ langfristig aufstellen. Das jedenfalls ist eine der wichtigsten Botschaften von Bundeskanzler Olaf Scholz, als er die Nationale Sicherheitsstrategie am 14. Juni 2023 gemeinsam mit vier Ministerinnen und Ministern seines Kabinetts in Berlin vorstellt. Der „integrierte“ oder auch der „erweiterte“ Sicherheitsbegriff hat sich über die vergangenen Jahre entwickelt und geht heute weit über das traditionelle Verständnis von innerer und äußerer Sicherheit hinaus.

Das jetzt vorgestellte Strategie-Dokument ist ein Novum in der deutschen Sicherheitspolitik. Denn es ist die erste eigene Sicherheitsstrategie für die Bundesrepublik überhaupt. Es konnte daher nicht überraschen, dass der Entstehungsprozess des Strategie-Dokuments keine leichte Übung war und das Ergebnis letztlich einen politischen Kompromiss darstellt. Dabei musste Rücksicht genommen werden auf die unterschiedlichen Prioritäten der drei Koalitionsparteien sowie auf die verschiedenen Interessen des Kanzleramts, des Verteidigungsministeriums, des Auswärtigen Amts und des Innenministeriums.

Wer das Strategie-Papier aufmerksam liest, stellt schnell fest: Der Begriff der „integrierten Sicherheit“ steht im Mittelpunkt. Sicherheit soll in Zukunft nicht mehr nur als innere und äußere Sicherheit verstanden werden, sondern wesentlich mehr Dimensionen umfassen. Was also bedeutet integrierte Sicherheit? Dazu heißt es in dem 74 Seiten umfassenden Dokument: „Wir verstehen darunter das Zusammenwirken aller relevanten Akteure, Mittel und Instrumente, durch deren Ineinandergreifen die Sicherheit unseres Landes umfassend erhalten und gegen Bedrohungen von außen gestärkt wird.“

Aus Sicht der Bundesregierung ist Sicherheitspolitik „mehr als die Summe aus Diplomatie und Militär; sie muss alle Stränge unserer Politik zusammenführen.“ Deshalb gehören zu dem erweiterten Sicherheitsbegriff neben der äußeren und inneren Sicherheit unter anderem auch die Sicherheit im Cyber- und im Weltraum sowie Energiesicherheit, Klimasicherheit, Ernährungs- bzw. Versorgungssicherheit und soziale Sicherheit.

Kaum war das Strategie-Papier veröffentlicht, setzte eine politische Debatte ein, in der zum Beispiel kritisiert wurde, dass es nicht gelungen ist, einen Nationalen Sicherheitsrat in der Sicherheitsstrategie zu verankern. Dies hatten etwa die Union und die FDP gefordert. Auf dessen Gründung konnten sich die Koalitionsparteien und die beteiligten Ministerien aber offenbar nicht einigen. Eine Erklärung dafür könnte in der Existenz des Bundesicherheitsrats liegen. Da es bereits ein Gremium gibt, wollte man in Berlin möglicherweise kein zweites Gremium gründen und damit etwaige Kompetenzstreitigkeiten zwischen beiden vermeiden.

Bundeskanzler Olaf Scholz und vier Mitglieder seines Kabinetts haben die Sicherheitsstrategie während der Bundespressekonferenz am 14. Juni 2023 in Berlin vorgestellt. (Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Muss Sicherheit Chefsache sein?

Außerdem bemängelten einige politische Beobachter, dass die Federführung bei dem Entstehungsprozess der Sicherheitsstrategie beim Auswärtigen Amt gelegen hat und nicht beim Kanzleramt, beim Verteidigungsministerium oder beim Innenministerium. Ihre Kritik: Eine Sicherheitsstrategie muss Chefsache sein und gehört in den Verantwortungsbereich des Bundeskanzlers, der nicht nur die Richtlinienkompetenz für die Politik hat, sondern laut Grundgesetz auch die Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr im Verteidigungsfall.

Wie auch immer man diese Kritik beurteilen mag, entscheidend ist: Deutschland hat es endlich geschafft, eine eigene Nationale Sicherheitsstrategie zu erarbeiten, obwohl es in der Bundesrepublik – anders als in den USA, in Großbritannien oder Frankreich – keine Tradition im „strategischen Denken“ gibt. Deshalb war es couragiert von Außenministerin Annalena Baerbock, gleich im Vorwort zur Sicherheitsstrategie einzugestehen: „Dieser Text ist kein Schlusspunkt, sondern ein Anfang.“ Das Strategie-Papier ist also angelegt als ein Dokument, das fortgeschrieben, verbessert und aktualisiert werden soll.

Sachliche Fakten statt Emotionen

Bezogen auf die Öffentlichkeit in Deutschland wäre es wünschenswert, wenn die Nationale Sicherheitsstrategie nicht nur den Sicherheitsexperten in den Behörden für die weitere Arbeit dient. Stattdessen sollte sie auch einen Beitrag dazu leisten, die sicherheitspolitische Diskussion in der Gesellschaft zu versachlichen und damit die strategische Kultur und das strategische Denken in Deutschland zumindest einen kleinen Schritt weiterzuentwickeln.

Ein sinnvoller Beitrag zu dieser Entwicklung wäre zum Beispiel die Einrichtung von Lehrstühlen für strategische Studien oder Sicherheitspolitik an den deutschen Universitäten. Da es zurzeit keinen einzigen regulär finanzierten Lehrstuhl hierfür in Deutschland gibt, besteht auf diesem Gebiet ein klares Defizit und somit dringender Handlungsbedarf für die Politik.- -Darauf hat der Kieler Politikwissenschaftler -Joachim Krause in einem Namensartikel für die FAZ zu Recht aufmerksam gemacht. Andernfalls wird man sich darauf einstellen müssen, „dass das in Europa als Führungsmacht wahrgenommene Deutschland weiterhin in strategischer Blindheit verhaftet bleibt.“


Autor

Dr. Theodor Benien

hat über 30 Jahre als Leiter Kommunikation in verschiedenen Divisionen der Airbus-Gruppe gearbeitet und war zuletzt Vice President Communications im Eurofighter-Konsortium. Seit 2020 arbeitet er als selbstständiger Kommunikationsberater mit Schwerpunkt „Internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik“

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