Rheinmetall: Ein starker Partner an der Seite der Ukraine
3. Dezember 2024
15. August 2023 - von Oliver Hoffmann
Im Verteidigungskampf der Ukraine beweist sich der Flakpanzer Gepard als äußerst effiziente Abwehrwaffe. Entsprechend hoch ist der Munitionsbedarf. Um den akuten Versorgungsengpass zu beheben, hat Rheinmetall in einem multinationalen Kraftakt an seinem Standort in Unterlüß innerhalb weniger Monate eine neue Produktionslinie aufgebaut.
Die frisch aufgetragene antistatische Bodenbeschichtung in der leeren Produktionshalle spiegelt wie eine Eisfläche. Alles ist für die neue Anlage vorbereitet, die bald aus Italien kommt. „Die Infrastruktur steht, nun muss es losgehen. Unser Produkt wird in der Ukraine händeringend erwartet“, sagt Manfred M. (62), Leiter der Produktion des Geschäftsbereichs Waffe Munition in Unterlüß.
Die Erwartungen an M. und sein Team könnten nicht höher sein: In wenigen Wochen soll in der neuen Fertigungsanlage 35mm-Munition für die Gepard Flugabwehrpanzer vom Band rollen, die sich im Verteidigungskampf der Ukraine als so wertvoll erwiesen haben. [Update September 2023: Mittlerweile läuft die Produktion auf Hochtouren, Auslieferungen erfolgen wie geplant. Die erste Charge wurde Ende August 2023 an die Ukraine geliefert.] Mehrere Millionen Euro wurden für die Anlage investiert. Der Zeitdruck ist enorm, Rheinmetall steht beim Kunden, der deutschen Bundesregierung, im Wort. Wenige Wochen nach seinem Amtsantritt kam Verteidigungsminister Boris Pistorius an den Rheinmetall-Standort Unterlüß, um sich vor Ort über den Stand der Dinge zu informieren. M. und seine Leute kämpfen buchstäblich gegen die Zeit – doch an ihrer Seite haben sie ein weitgespanntes Netzwerk an Rheinmetall-Kollegen aus unterschiedlichsten Bereichen des Konzerns im In- und Ausland.
Effiziente Flugabwehr
Experten sind sich einig: Der Gepard mit seiner 35mm-Zwillingskanone ist ein entscheidender Faktor im Verteidigungskampf der Ukraine. Rund vierzig dieser Flakpanzer hat die deutsche Bundesregierung dem Land zur Verfügung gestellt. „Die Luftverteidigung und nicht Jagdflugzeuge waren die Rettung der Ukraine“, konstatierte der britische Militärexperte Justin Bronk. Denn nur mit den Mitteln der Luftverteidigung gelang es der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Übermacht, die Lufthoheit über ihrem Territorium zu behalten. Russland kann seine Luftwaffe somit praktisch nicht in Regionen zum Einsatz bringen, wo mit Geparden zu rechnen ist. Auch gegen die iranischen Kamikaze-Drohnen Shahed-136, mit denen Russland ukrainische Städte angreift, bewähren sich die Gepard Flakpanzer als überaus effiziente Abwehrwaffe. Sie sind quasi permanent im Einsatz, entsprechend hoch ist der Munitionsbedarf: Bei einem Feuerstoß verlassen bis zu zwanzig Geschosse die zwei Oerlikon KDA-Maschinenkanonen. Weil die Munition knapp ist, schießen die ukrainischen Kräfte meist nur noch Fünfer-Salven. (Ho)
Fertigungskapazitäten in Deutschland sind unerlässlich
Rückblende nach Brüssel, 14. Februar 2023: „Wir werden jetzt unverzüglich wieder eigene Produktion aufnehmen bei Rheinmetall für Gepard-Munition“, verkündete Boris Pistorius beim Treffen der Ukraine Defence Contact Group. Bei der Unterstützung der Ukraine gehe es nun ganz besonders auch um Munition, betonte er. Wenige Tage zuvor hatte der Minister mit dem Unternehmen den Vertrag zur kurzfristigen Lieferung von 300.000 Schuss Munition für den Gepard Flugabwehrkanonenpanzer (Flakpanzer) unterzeichnet.
Im Ringen um Nachschub an Munition hatte die Bundesregierung auch im Ausland nichts unversucht gelassen – vergeblich. Bei der Bundeswehr waren die Bestände auf null, nachdem die Bundeswehr die Heeresflugabwehr 2012 endgültig aufgelöst und die Gepard-Systeme vorher schon außer Dienst gestellt hatte. Nun bewähren sich die Geparden in der Ukraine vor allem bei der Abwehr von Kampfdrohnen.
Brasilien verweigerte die Bereitstellung vorhandener Munition aus politischen Gründen. Die Schweiz sah sich aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in der Lage, zu helfen. Daher durfte auch Munition aus anderen Ländern, die ursprünglich in der Schweiz gefertigt wurde, nicht an die Ukraine gegeben werden. Um den Versorgungsengpass aufzuheben, mussten also eigene Fertigungskapazitäten in Deutschland her. Rheinmetall präsentierte dem Beschaffungsamt der Bundeswehr dazu einen Lösungsansatz – und hatte kurze Zeit später den Auftrag.
Höchstmaß an Motivation und Pragmatismus
In Unterlüß steht dazu auch Constantin Sch. (44) in der Verantwortung: „Unsere Frauen und Männer wissen: Sie bewirken da echt was Gutes. Die Motivation ist wirklich sehr hoch.“ Sch. ist im Geschäftsbereich Waffe Munition von Rheinmetall für das operative Geschäft verantwortlich und freut sich, dass es im Projekt zügig vorangeht: „Wir sind selber von der Geschwindigkeit überrascht. Wir haben auch gar keine Zeit, im Programm wie üblich alle Schritte in gewohnter Breite durchzuführen. Vielmehr ist alles auf Geschwindigkeit sowie das erforderliche Minimum an Funktion und vor allem auf Sicherheit ausgerichtet. Das funktioniert nur, weil wir hier sehr kooperativ und bereichsübergreifend arbeiten – der zivile Bereich von Rheinmetall mit dem militärischen, und die Kollegen in der Schweiz und Italien mit uns hier in Deutschland.“
Ortswechsel zu Peter S. (63). Der Geschäftsführer der RWM Schweiz AG zeigt sich beeindruckt: „Es ist unglaublich. Wir schaffen innerhalb von Wochen, wofür wir früher Monate oder Jahre brauchten. Im Grunde ist es das verrückteste Projekt, das ich kenne – und gleichzeitig eines der wichtigsten.“ Das geht nur mit kurzen Entscheidungswegen und viel Pragmatismus, gepaart mit einem Höchstmaß an Willen, Motivation und Ausdauer. „Wir produzieren in Deutschland Munition für einen Krieg in Europa. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir das nach dem Ende des Kalten Krieges so nochmal brauchen würden“, sagt S., der in seiner aktiven Zeit bei der Bundeswehr ein Panzerbataillon im Kosovo kommandiert hat.
Moderne Munitionstechnik für ein altes System
„Ich sehe niemanden außer Rheinmetall, der das Problem so schnell hätte lösen können. Wir kennen die Oerlikon-Waffe des Gepard und wir haben das dazugehörige Know-how bei der dazugehörigen Mittelkaliber-Munition“, sagt S. Zudem ist Rheinmetall seit der Übernahme der früheren Oerlikon Contraves AG, Zürich, der technologisch führende Anbieter von Lösungen der kanonenbasierten Flugabwehr.
Die Herausforderung: „Der Gepard ist so alt, dass niemand mehr heute die Feuerleitung des Flakpanzers in ihren Details kennt“, erläutert Christian F. (44), Gesamtprojektleiter Gepard-Munition. „Es gibt kaum noch Unterlagen und im Grunde wissen wir nur ansatzweise, was im Inneren des Feuerleitrechners wirklich geschieht.“ Dabei sorgt diese elektronische Komponente für die immer noch beeindruckende Treffgenauigkeit des 35mm-Zwillingskanonen-Systems.
F. erläutert das spezielle Vorgehen: „Die alte Munition nachzubauen, kam nicht in Frage, zumal die früheren Werkzeuge fehlten. Aus Zeitgründen haben wir uns für eine Mischung aus Reverse Engineering und Anpassungsentwicklung entschieden, wie es sie wohl noch nie gab. Wir haben die vorhandene 35mm-Munition für die Bordwaffe eines Schützenpanzers genommen und sie für den Gepard nutzbar gemacht.“ Eine besondere Herausforderung gab es dabei: „Der Feuerleitrechner des Gepard muss die Munition zuverlässig erkennen. Hierfür galt es, die Black Box Gepard-Elektronik erst zu entschlüsseln und sie zu verstehen, damit anschließend die Munition diesbezüglich angepasst werden konnte.“ Sehr wertvoll war es dabei, so F., auch auf das Wissen der Kollegen der Rheinmetall Air Defence zurückgreifen zu können: „Sie haben ihre Mitarbeit sofort zugesichert und uns tatkräftig und pragmatisch unterstützt.“
Breites Technikwissen als unschlagbare Stärke
Das sieht auch Manfred M. in Unterlüß so. „Das ist unsere unschlagbare Stärke bei Rheinmetall – dass wir als Systemhaus so ein breites Wissen im Konzern haben.“ Bei umfangreichen Schieß-Erprobungen im Erprobungszentrum Unterlüß wurde immer wieder getestet, wie es um die Funktionalität steht. Letzter Schritt: der erfolgreiche Abschluss des Verifikationsprogramms mit dem Beschuss aus dem Flakpanzer Gepard im Mai 2023.
Peter S.: „Unsere Leute haben das Projekt aus voller Überzeugung vorangetrieben – in dem Wissen, dass die Ukraine die Munition dringend braucht, je schneller, desto besser.“ Die besondere Leistung ist, dass die Ingenieure und Techniker ein uraltes System mit heutiger Munitionstechnik „verheiratet“ haben. „Ich bewundere den Ehrgeiz, mit dem sie ihr Wissen in dieses Projekt eingebracht haben. Wo andere erfolglos waren, haben wir bei Rheinmetall es innerhalb von nur drei Monaten geschafft und die Anpassungsentwicklung zum Abschluss gebracht“, resümiert S.
Anlagenbau aus der Schublade
Nicht nur in der Entwicklung, sondern auch beim Aufbau der Produktion galt es für Rheinmetall, einen pragmatischen Weg zu finden, damit die ersten Auslieferungen rasch möglich werden. Manfred M., Unterlüß: „Bei der Konzeption der Fertigungsanlage kommen unsere Kollegen bei Pierburg ins Spiel, also im zivilen Bereich von Rheinmetall. Sie haben das Wissen im Anlagenbau und die Pläne für die Anlage, die wir hier brauchen, quasi in der Schublade.“ Constantin Sch. unterstreicht: „Die Pierburg-Kollegen haben hier wirklich einen super Job gemacht!“
Ein kurzer Abstecher nach Neuss zu Holger D. (54), Director Equipment Building bei Pierburg: „Dank unserer Erfahrung konnten wir schnelle Lösungen finden. Ähnliche Anlagen haben wir schon in Camden/USA für die American Rheinmetall Munitions aufgebaut oder auch im ungarischen Varpalota. Für Unterlüß haben wir in Neuss eine so genannte LAP-Linie konzipiert, die von den Kollegen der Pierburg Pump Technology am italienischen Standort Lanciano aufgebaut wurde. Von dort wird sie nach Unterlüß transportiert und dort in Betrieb genommen. Wir arbeiten also Hand in Hand, länderübergreifend.“ LAP steht dabei für die Bearbeitungsschritte Loading – Assembly – Packing, also das Befüllen der Hülsen mit der Treibladung, den Zusammenbau der verschiedenen Bestandteile einer Patrone sowie die Verpackung. Das Pulver für die Treibladung kommt dabei von der Nitrochemie, die ebenfalls dem Konzernverbund angehört.
Perfektes Zusammenspiel
Peter S. bekräftigt: „Nur in diesem perfekten Zusammenspiel aller war das Projekt in so kurzer Zeit realisierbar.“ Die Kooperation ziehe sich auch durch den gesamten Fertigungsprozess. „Durch eine Erweiterung der Lieferketten haben wir den Schweizer Wertschöpfungsanteil so weit wie möglich reduziert und nach Deutschland verlagert.“
Sein Kollege Christian F. erläutert: „Zwei Munitionstypen wird die Ukraine erhalten, und zwar jeweils 150.000 Schuss.“ Als Erstes die Unterkalibermunition, die Schwermetall-Penetratoren enthält und sich besonders zum Kampf gegen gehärtete Ziele eignet. Parallel dazu wird als Zweites auch die Fertigung klassischer Sprengbrandmunition des Typs HEI-T vorbereitet. Sie ist für die typischen Ziele der Flugabwehr konzipiert, also Luftziele wie Flugzeuge oder Lenkflugkörper. Hier ist die Herstellung jedoch aufwändiger, denn auch Explosivstoffe und Zünder werden dafür in ausreichender Menge benötigt. Daher wird die Sprengbrandmunition erst in einem zweiten Schritt ausgeliefert.
Das ist aber kein Problem, so Peter S.: „In den speziellen Szenarien, in denen die Ukraine jetzt kämpft, ist die Art der Munition fast nebensächlich – Hauptsache, sie haben etwas. Sogar mit Übungsmunition könnten sie die gefährlichen Shahed-Drohnen vom Himmel holen.“
Jeder Tag zählt
Derweil bereitet Manfred M. in der Südheide mit seinem Team nun alles für die Produktion vor: „Jetzt schulen wir das Personal für die neuen Aufgaben. Nach Anlieferung und Inbetriebnahme der neuen Anlage werden wir eine Kleinserie fahren und die Funktionalität testen, bevor die eigentliche Serienproduktion beginnt. Im Sommer soll die erste Auslieferung erfolgen.“ Gemeinsam mit Constantin Sch. freut er sich auf den Tag, an dem der erste Lkw mit Gepard-Munition das Werk Unterlüß verlässt. M.: „Das werden wir feiern. Unseren Leuten bedeutet es wirklich sehr viel, mit ihrer Arbeit die Menschen in der Ukraine zu unterstützen.“ Insgesamt 40.000 Patronen sollen noch im Jahr 2023 ausgeliefert werden.
Auch für Projektleiter F. ist es ein Projekt von spezieller Bedeutung: „Wir sind es gewohnt, mit hohem Zeitdruck und großer Verantwortung an unseren Projekten zu arbeiten. Herzblut und Passion – das haben wir sonst auch, ebenso wie knappe Termine. Aber hier kommt noch etwas dazu. Nämlich die konkrete Sinnhaftigkeit des Termindrucks. Unser Produkt kann in der Ukraine Leben retten, jeder Tag zählt. Das setzt im Team nochmals zusätzliche Kräfte frei.“
Die Symbolhaftigkeit ist unübersehbar: Nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung des Westens mit der Ukraine wird der russische Angriff abzuwehren sein. Auch wenn die erste Lieferung von Gepard-Munition in Richtung Ukraine unterwegs ist, wird es ein gemeinsamer Erfolg vieler sein. Ein Erfolg der Kolleginnen und Kollegen in Zürich, Studen und Altdorf in der Schweiz, in Neuss, Unterlüß und im italienischen Lanciano – und ihr Beitrag zur Verteidigung der Ukraine.
Aus Gründen der Unternehmenssicherheit sind alle Namen unkenntlich gemacht.
1.100
Schuss pro Minute
(550 Patronen pro Rohr)
Kaliber
35mm x 228
Typen: klassische Sprengbrandmunition (Typ HEI-T) gegen Flugziele; Unterkalibermunition gegen Bodenziele
1.440
m/s
Geschossgeschwindigkeit der Unterkalibermunition und 1.050 m/s Geschossgeschwindigkeit der Sprengbrandmunition
GEPARD: Entstehung und Wirkung
Text: Dr. Moritz Vischer
Als gepanzertes mobiles Flugabwehrsystem vereint der Gepard -Sensorik und Waffensystem auf einer Plattform. Durch seine zwei 35mm x 228 KDA Kanonen mit großer Munitionsdotierung garantiert er bei jedem Wetter eine hohe Abschussleistung und Wirksamkeit. Somit kann der Gepard alle drei Phasen der Flugabwehr (Flab) – Suchen, Verfolgen und Bekämpfen – autonom ausführen. Die Kunst liegt nun im Ausbalancieren der Systemfehler und einer Optimierung der Übergabe der Phasen zueinander, wenn man sich nicht auf seltene Zufallstreffer beschränken will. Beim Gepard ist dies geglückt. Ein herausragendes Systemengineering, eine geschickte Auslegung der Komponenten sowie eine hohe Redundanz erlauben die Kombination von Betriebsarten. Damit wird, trotz externer Störeinflüsse oder Teilausfälle, die volle Einsatzfähigkeit maximal gewährleistet. So gab es schon 1970 einen Haupt- und einen Notrechner sowie jeweils drei Möglichkeiten, Zielentfernung und Zielwinkel zu messen. Eine sorgfältig ausgelegte Bedienoberfläche für den Kommandanten und den Richtschützen im Turm rundet das System ab. Neben einer hohen Beweglichkeit und Reichweite kann der Gepard einen 24-Stunden-Kampftag ohne logistische Unterstützung durchstehen und mit den mobilen Verbänden an vorderster Front mithalten. Allerdings erwies er sich in der militärischen Nutzung als teuer und anspruchsvoll in der Wartung. Heute sind viele Ersatzteile gar nicht mehr verfügbar.
Die Geschichte des Gepard
Der erste Kriegseinsatz des Gepard Flugabwehrpanzers erfolgte mehr als 50 Jahre nach seiner Entwicklung und Einführung – in der Ukraine. Dass er heute so erfolgreich ist, kommt nicht von ungefähr. Denn bereits bei der Auslegung, Entwicklung und Erprobung des Systems in den 60er und 70er Jahren wurde aus dem Vollen geschöpft.
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