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Ein Stoff nicht nur zum Träumen

9. November 2019

Ob nun Batteriekapazitäten oder Ladeinfrastruktur – die Herausforderungen in der E-Mobilität sind vielfältig. Deshalb forschen und entwickeln nach ersten Vorstößen durch asiatische Hersteller vermehrt auch europäische Automobilproduzenten an der mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzelle.

Auch Mercedes-­Benz bietet ein Brennstoffzellenfahrzeug an.

Sie könnte zeitraubende Ladepausen auf Langstrecken obsolet machen und bietet, wenn der von ihr benötigte Wasserstoff regenerativ hergestellt wird, auch die erforderliche positive Umweltbilanz. Die bei der chemischen Reaktion aus dem Zusammentreffen von Wasserstoff und Sauerstoff in der Brennstoffzelle entstehende Energie taugt naturgemäß in gleichem Maße wie ihre aus Batterien gespeiste Variante zum Antreiben von Elektromotoren. Sie ermöglicht also den aus der derzeitigen Elektromobilität bekannten großen Fahrspaß, den der Automobilist dann aber nur durch wenige Tankminuten unterbrochen, selbst auf längeren Strecken „erfahren“ kann. Einziger Rückstand dieser Reaktion ist lediglich etwas Wasserdampf, der aus dem „Auspuff“, der hier nur ein einfaches Kunststoffrohr ist, strömt. 

Systeme ergänzen sich

Im Grunde wird ein Brennstoffzellenfahrzeug natürlich auch elektrisch angetrieben. Nur wird die dafür erforderliche Energie direkt in der Brennstoffzelle erzeugt. Zwar benötigen Brennstoffzellenfahrzeuge in den heutigen Konstellationen auch eine zusätzliche Batterie, diese kann allerdings kleiner ausfallen als herkömmliche Leistungsakkus für rein batterieelektrische Autos. Sie wird nach dem Start nur in Beschleunigungssituationen sowie zum Rückgewinnen von Energie beim Verzögern benötigt. Rein batterieelektrische Fahrzeuge haben den Nachteil der schweren und teuren Batterie verbunden mit vergleichsweise langen Ladezeiten. Sie sind damit eher für kleinere Fahrzeuge und kürzere Strecken geeignet. Insbesondere für schwere Lkw im Fernverkehr sind Batterien aus heutiger Sicht keine Option. Genau hier spielt die Brennstoffzelle ihre Vorteile aus: geringes Gewicht und geringer Bauraumbedarf gepaart mit kurzen Betankungszeiten. Sie ist damit prädestiniert für größere Pkw, Busse und Nutzfahrzeuge, also eine ideale Ergänzung zu rein batterieelektrischen Fahrzeugen.

Großes Interesse

Eine ganze Hand voller Argumente, die klar machen, warum nach Automobilbauern aus Fernost nun auch deutsche Hersteller – allen voran Mercedes-Benz mit seiner Brennstoffzellenvariante des GLC – intensiver in diesen Markt einsteigen. Aber kein elektrisches und umweltverträgliches Fahrvergnügen ohne den notwendigen Brennstoff. So wird auch das Tankstellennetz für Wasserstoff immer engmaschiger, wie die App „H2.LIVE“ beeindruckend verdeutlicht. Und die Betankung eines Fahrzeugs mit Wasserstoff geht fast genau schnell vonstatten wie bei konventionellem Kraftstoff. „Wir stellen im Markt ein zunehmendes Interesse auf der Herstellerseite fest“, meint Dr. Michael Becker, der die Vorentwicklung bei Pierburg leitet.

„Dies gilt zum einen für größere Pkw, aber zunehmend auch für Lkw und Busse.“ Sein Unternehmen erreichen inzwischen Anfragen aus der ganzen Welt, übrigens auch für stationäre Anlagen, die die Brennstoffzellen in Form einer Kraft-Wärme-Kopplung beispielsweise für die Wärme- und Energieversorgung von Gebäuden nutzen. Diese Anfragen kommen nicht von ungefähr. Pierburg befasst sich seit den 1990er-Jahren mit der Entwicklung von Komponenten für die Brennstoffzelle. Heute bietet das Unternehmen ein recht umfassendes Portfolio, sowohl für die Wasserstoff- (Anode) als auch die Sauerstoffseite (Kathode) der kleinen Energieerzeuger und darüber hinaus für das Thermomanagement dieser zukunftsträchtigen Technologie. 

Das Kathodenventil kommt bei der Regelung der Frisch- und Abluftmassenströme sowie zur hochdichten Absperrung der Brennstoffzellen-Stacks zum Einsatz. Die speziell für diesen Einsatz ausgewählten und kombinierten Materialien gewährleisten die notwendige Beständigkeit gegen Wasserstoff sowie hochreines Wasser. Es verfügt außerdem über eine hohe Leistungsreserve, damit es selbst unter Frostbedingungen zu keinen Funktionsbeeinträchtigungen kommen kann.

Auch hier hat sich im Laufe der Entwicklung klar gezeigt, dass die Erfahrung in der Verbrennungstechnik und das Systemverständnis des langjährigen Entwicklungspartners der weltweiten Automobilhersteller auch für die Umsetzung neuer technischer Herausforderungen von Nutzen sind. Dazu zählen vor allem die Kompetenzfelder Luftversorgung und Pumpen sowie der Bereich Aktuatorik und Ventile. Teilweise sehr sensible Aufgabenfelder, die im Laufe der Entwicklung eines Brennstoffzellenantriebs vonnöten sind. Innerhalb der Brennstoffzelle herrschen durch das dort vorhandene de-ionisierte Wasser und den Wasserstoff besondere Anforderungen an das eingesetzte Material, insbesondere an seine Resistenz und an die Wasserstoffdichtigkeit der Komponenten. 

Das Rezirkulations­­­­­ge­bläse gibt es in Varianten für den Hoch- und Niedervolteinsatz.

Bei Pierburg zählt aktuell unter anderem ein Wasserstoffrezirkulationsgebläse zu den Entwicklungsschwerpunkten. Es hat zur Aufgabe, den bei der Reaktion nicht verbrauchten Wasserstoff erneut dem Stack, also dem Brennstoffzellenstapel, zuzuführen. Pierburg bietet seine Rezirkulationsgebläse als Niedervolt- wie auch als Hochvoltvarianten an. Sie erhöhen die Effizienz, also den Wirkungsgrad, der Brennstoffzelle und verlängern ihre Lebensdauer. Außerdem erzielen sie durch die gleichmäßige Verteilung des Wasserstoffs in der Zelle ein verbessertes Kaltstartverhalten. Aber damit nicht genug. Auch in den Bereichen Kühlmittelventile und Pumpen kann der Automobilzulieferer seine Kompetenz einbringen.

Mit elektrischen Pumpen für die jeweiligen Kühlkreisläufe hat Pierburg ebenfalls Hoch- und Niedervoltanwendungen im Programm. Mit einer 12-Volt-Variante ist man übrigens bereits im Brennstoffzellenfahrzeug eines deutschen Herstellers vertreten. Beauftragt von einem weiteren Hersteller wurde das Unternehmen zudem jüngst mit einer Kathodenklappe. Diese im Pierburg-Werk in Berlin entwickelte innovative Generation elektrischer Klappensysteme wird bei der Regelung der Frisch- und Abluftmassenströme, sowie der hochdichten Absperrung der Brennstoffzellen-Stacks ab 2022 zum Einsatz kommen.

Dr. Michael Becker, Leiter Vorentwicklung bei Pierburg

Nachgefragt

Weshalb steigt aktuell das Interesse an der Brennstoffzelle?

Dafür gibt es sicher vielfältige Gründe. Aktuell verschiebt sich der Entwicklungsschwerpunkt in Richtung größerer Personenkraftwagen und umfasst auch Lkw und Busse. Zu einem nicht unerheblichen Teil liegt das sicher an der neuen Gesetzgebung für Lkw in Europa. Das schafft man nicht ohne neue Technologien und speziell für den Nutzfahrzeugbereich ist die Brennstoffzelle an sich ja prädestiniert. Hinzu kommt der öffentliche Nahverkehr. Hier sind bereits verschiedentlich Züge und Busse mit Brennstoffzellen im Einsatz. 

Wie wird sich der Brennstoffzellenabsatz in absehbarer Zeit entwickeln?

Marktexperten gehen davon aus, dass wir nach den derzeitig noch geringen Stückzahlen ab Mitte des nächsten Jahrzehnts ein großes jährliches Wachstum sehen werden. Für 2030 gehen konservative Schätzungen von ungefähr zwei Millionen produzierten Brennstoffzellenfahrzeugen weltweit aus. Leitmärkte werden Asien und Europa sein.

Welche Vorteile bietet die Brennstoffzelle aus Ihrer Sicht gegenüber reinen BEVs?

Abgesehen von der kurzen Betankungszeit hat die Brennstoffzelle weitere Vorteile gegenüber reinen BEVs. Sie ermöglicht große Reichweiten, ist deutlich leichter und platzsparender. Und sie funktioniert im Winter uneingeschränkt auch bei Minusgraden. Im Brennstoffzellenauto können Sie endlich auch wieder Ihre Klimaanlage und Ihre Heizung einschalten, ohne Angst bezüglich der Reichweite haben zu müssen. Da ist das Brennstoffzellenfahrzeug dem reinen Batteriefahrzeug sicher voraus. 

Wo sehen Sie die noch offenen zentralen Punkte, um die Marktfähigkeit von Brennstoffzellen zu verbessern?

Aus meiner Sicht sind dazu drei Dinge notwendig. Zum einen muss die Herstellung von Wasserstoff durchweg regenerativ erfolgen, um hier wirklich den gewollten ökologischen Effekt zu erzielen. Dabei kann und sollte Wasserstoff durchaus auch als Energiespeicher dienen, wenn man beispielsweise durch Windräder erzeugten Strom speziell in den Zeiten nutzt, in denen der allgemeine Verbrauch so niedrig ist, dass sie ansonsten abgeschaltet würden. Ferner muss an der Infrastruktur der H2-Tankstellen gearbeitet werden, was im Rahmen von verschiedenen, öffentlich geförderten Initiativen ja auch geschieht. Und schließlich ist natürlich auch eine Kostenreduktion notwendig, um Brennstoffzellenfahrzeuge für den Verbraucher attraktiv zu machen. Mit den entsprechenden „Economies of Scale“ wird sich hier in Zukunft noch einiges bewegen.

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