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Zurück in der Zukunft

7. Dezember 2022

Es mutet an wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film: Ein normales Auto rollt durch die Straßen und bremst ganz selbstverständlich für Passanten, die die Straße überqueren wollen, aber es sitzt kein Fahrer darin!

Sieht alles: das fälschungssichere Echtzeitsichtsystem für Fahrzeuge.
(oben: Alles unter Kontrolle: In der Control Station entsteht der Eindruck, man säße in einem vollkommen normalen Auto. So werden für Mira-Entwicklungsingenieur und Teleoperator Wojciech Stepniewski in Echtzeit selbst die Spiegelansichten des teleoperierten Fahrzeugs übertragen.)

Scheinbar von Geisterhand gesteuerte Fahrzeuge sind heute jedoch keine Zukunftsvision mehr, sondern dürften schon bald zum alltäglichen Stadtbild gehören. So befindet sich im Düsseldorfer Industriehafen bereits ein von der Bezirksregierung, der Landeshauptstadt und dem TÜV Rheinland als Pilotregion und Reallabor freigegebener Betriebsbereich.

Möglich wird dies durch die Technologie des teleoperierten Fahrens. Dabei ist das betreffende Auto über ein sogenanntes Drive by Wire-System fernsteuerbar und ist zudem mit umfassenden Kameras, Telekommunikationseinrichtungen und Cybersicherheitssystemen ausgerüstet. Der „Fahrer“ sitzt indes fernab in einer Kontrollstation mit allen Funktionen und Bedieneinheiten eines „normalen“ Fahrerstands. Der Blick aus dem Fahrzeug wie auch die Ansichten von Seiten- und Rückspiegeln werden über große Monitore übertragen. Ein entscheidender Sicherheitsfaktor: Die Kamerabilder wie auch alle Bedienschritte des Fahrers werden dank moderner 5G-Mobilfunktechnik nahezu in Echtzeit mit nur minimalsten Latenzzeiten umgesetzt. So erhält der Tele-Driver jederzeit ein genaues Abbild der Verkehrssituation.

Kaum von einem serienmäßigen Pkw zu unterscheiden: Der Mira-Testwagen wird dank seiner Kameraübertragung ferngesteuert im normalen Straßenverkehr der Pilotregion bewegt. Immer dabei ist in der jetzigen Phase natürlich noch ein Sicherheitsfahrer.

Diese und weitere Zukunftstechnologien entwickelt Dr. Peter Seggewiß mit den Mitarbeitern des Rheinmetall Technology Center (RTC GmbH). Ziel der divisionsübergreifenden Vorentwickler ist es, technologische Trends frühzeitig zu erkennen, sie aufzugreifen und die daraus resultierenden Innovationen so weit zu konzipieren, dass sie schließlich an eine Rheinmetall-Division über- geben oder in eine mögliche neue operative Einheit ausgegründet werden können. Dort erfolgt die Weiterführung sowie die Industrialisierung der Projekte. Geleitet wird das RTC als Teil der Zentralfunktion „Research Technology and Innovation“ von Rheinmetall durch die Technologie-Chefs (CTOs) der zivilen und militärischen Divisionen des Rheinmetall-Konzerns, Heinrich Dismon und Klaus Kappen.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Gute Marktchancen für die neue Technologie rechnen sich die Geschäftsführer bereits im zivilen Sektor aus, denn die möglichen Nutzer sind vielfältig. Sie beinhalten Autoverleiher, Shuttle- dienste, Logistik oder Transport, den ÖPNV so- wie Nutz- und Spezialfahrzeuge. Nicht zuletzt ist der Einsatz auf Flughäfen, auf Hafengeländen, in Kraftwerken oder im Bergbau denkbar. Gleiches gilt für den privaten Bereich, wenn der Fahrer einmal nicht selbst am Steuer sitzen will oder auch nur sein Fahrzeug teleoperiert abstellen lässt.

„Aber insbesondere im militärischen Bereich“, ergänzt Kappen, „wird Teleoperation der Enabler für die Automatisierung von Fahrzeugen sein, beispielsweise bei logistischen oder auch bei taktischen Fahrzeugen in besonders kritischen Bereichen.“

Video: Platzsparender Einbau bei vergleichsweise geringem Aufwand: Die von RTC-Entwicklungsingenieurin Dr. Mira Schüller vorgeführte Ladeeinrichtung könnte helfen, das Bestandsproblem in Innenstädten zu lösen.

Damit erstreckt sich das avisierte Geschäftsfeld auf zivile und militärische Ebenen. Bei den konzerneigenen technischen Einrichtungen zur Umsetzung der Teleoperation unterscheidet man zudem das reine Tele-Driving vom sogenannten Tele-Assist. Beim Tele-Driving werden nicht automatisierte Fahrzeuge bis zum SAE Level 3 per Teleoperation gesteuert. Tele-Assist ermöglicht es hingegen, Fahrzeuge nach SAE Level 4 und 5 im Falle nicht lösbarer Fahraufgaben kurzzeitig an eine technische Aufsicht zu übergeben. Dort über nimmt ein Teleoperator und assistiert so lange, bis das Fahrzeug wieder in den automatisierten Betrieb zurückgegeben werden kann. „Dank Tele-Assist rückt das autonome Fahren nach Level 4 oder 5 schneller in realisierbare Nähe, da nur hiermit die sogenannten Edge Cases schon heute zuverlässig beherrscht werden können“, so das Fazit von Dismon.

Indes soll und kann diese zukunftsorientierte Technologie nicht vom Unternehmen Rheinmetall allein zur Marktreife gebracht werden. Aus diesem Grund wurde 2022 die Mira GmbH gegründet, die eine Fülle von Produkten und Dienstleistungen rund um das teleoperierte Fahren für den zivilen Bereich anbietet. Eine Voraussetzung, um auch externe Partner ins Boot holen zu können.

Viele Projekte im Köcher

Aber auch in anderen zivilen und wehrtechnischen Projekten ist das RTC aktiv. Ein toolgestütztes Technologiemanagement und Regelmeetings mit den entsprechenden Technologen und Entwicklern vor Ort sorgen zudem dafür, dass man keine Forschung im Elfenbeinturm veranstaltet. So unterstreicht Kappen: „Der absehbare Nutzen der Entwicklungen des RTC wird in den Führungsgremien des Konzerns fortlaufend auf den Prüfstand gestellt.“ Hinzu kommt, dass substantielle Teilentwicklungen, beispielsweise für das teleoperierte Fahren, bereits heute in operativen Divisionen des Rheinmetall-Konzerns erfolgen. So beim Sichtsystem (Electronics Solutions) oder bei der Hardware und Betriebssoftware der Fahrzeugsteuerung (Vehicle Systems).

Kurz vor Einführung einer gesetzlichen Pflicht in Europa und den USA: Das kamera- und radarbasierte Fahrer- und Innenraum-Monitoring wird weltweit immer wichtiger.

Weitere Aktivitäten des RTC mit seinen aktuell 35 Mitarbeitern erstrecken sich beispielsweise auf die Unterstützung der Division Weapon and Ammunition bei der Entwicklung neuer Schutzsysteme für die Marine, die Verbesserung der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge im innerstädtischen Bereich oder das kamera- und radarbasierte Monitoring bei Fahrzeugen. Letzteres steht in Europa wie in den Vereinigten Staaten kurz vor der Einführung einer gesetzlichen Pflicht und soll unter anderem auch verhindern, dass Kinder oder Haustiere in bestimmten Situationen, wie extremen Außentemperaturen oder starker Sonneneinstrahlung, im Auto unbeabsichtigt zurückgelassen werden. Für die Automobilhersteller ein wichtiges Feature, das außerdem Punkte beim EURO-NCAP bringt. Auch hier kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz, sei es bei der Beobachtung des Fahrers im Hinblick auf seine Fähigkeit, das Fahrzeug zu bewegen, oder zukünftig bei der einfachen Erkennung von Personen im Fahrzeug bis hin zur Zugangsautorisierung. Diese in der Entwicklung fortgeschrittene Technologie befindet sich zurzeit in der Phase der Übergabe an die Division Sensors and Actuators, die zunächst noch mit Unterstützung des RTC, dann aber selbstständig die Weiterentwicklung und schließlich die Vermarktung übernehmen wird.

Hier besteht zudem eine Vielzahl weiterer Einsatzmöglichkeiten im zivilen wie im militärischen Sektor. Dazu zählen neben der erwähnten Zugangskontrolle der Status der Passagiere (angeschnallt?, wohlauf?) oder die Einbrucherkennung, um nur einige zu nennen. Vor diesem Hintergrund wurde 2022 ein Joint Venture mit der DERMALOG Identification Systems GmbH gegründet, Deutschlands größtem Biometrieunternehmen. Die neue Rheinmetall Dermalog SensorTec GmbH eröffnet damit Lösungen, die mit Hilfe kamera- und radarbasierter Systeme weit über die Bereiche der bloßen Zustandsbeobachtung des Fahrers und der Innenraumüberwachung hinausgehen.

Pilotprojekte für Ladeinfrastruktur

Wo ist die nächste Ladesäule, ist sie frei und wie groß ist meine Reichweite? Jeder, der einmal ein Elektroauto gefahren hat, kennt diese Überlegungen, zumal die aktuelle Zahl der Lademöglichkeiten in unseren Innenstädten zwar kontinuierlich wächst, aber längst noch nicht ein Level erreicht hat, das uns die Sorge um die nächste Strombetankung nimmt. Hier will das RTC mit einer Entwicklung das innerstädtische Bestandsproblem lösen, denn vielfach besteht aus Platzgründen gar nicht die Möglichkeit, eine ausreichende Zahl konventioneller Ladesäulen zu errichten.

Bordstein schafft Abhilfe

Mit einer in den Bordstein integrierten Ladeeinrichtung könnte man dagegen Abhilfe schaffen. So würden ganze Straßenzüge schnell und mit geringerem Aufwand zum Stromspender mit bis zu 22 kW Ladeleistung. Erste interne Tests haben ein sehr positives Feedback ergeben. Zusätzliches Interesse an einer derartigen Pilot-Ladeeinrichtung besteht auch bereits bei einigen Städten. Die E-Mobilisten werden’s danken.

WAS MIRA ANBIETEN WIRD
• Fälschungssichere Echtzeit- Sichtsysteme für Fahrzeuge
• Funktionale und Systemsicherheit der Steuereinheiten
• Leitstände mit technischer Aufsicht für autonom betriebene Fahrzeuge (L4/L5)
• Steuerstände (Control Stations) für teleoperiertes Fahren
• Cyber-Unit (Cyber-Box) zur Sicherheit der Video-, Steuer- und Personendaten
• Komplettinstallation und Integration
• Inbetriebnahme bzw. Bereitstellung der benötigten Services
• Homologation und Zertifizierung fahrerloser Fahrzeuge
• Personalschulung

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