Mehr Personality, bitte!
14. Oktober 2024
Konventionelle Ladesäulen sind aufwändig in der Installation, beeinflussen das Straßenbild und benötigen Platz auf dem Gehweg. Gäbe es nicht einen Ansatz, Ladeeinrichtungen dort einzurichten, wo sie niemanden stören? Ein Entwicklerteam von Rheinmetall kam in dieser Fragestellung auf eine einfache wie geniale Lösung.
Das Konzept der Ladeeinrichtung im Bordstein war geboren. Deren Vorteile liegen auf der Hand: Das System nimmt keinen zusätzlichen Platz in Anspruch, fällt im Straßenbild nicht auf und beeinflusst somit auch historische Stadtbilder nicht. Außerdem ist es im Bordstein bautechnisch leicht zu integrieren. Ganz im Gegenteil zum eigentlichen Bürgersteig, unter dem sich schon jetzt sehr viele Versorgungsleitungen tummeln, weshalb mancherorts auch keine Ladesäulen mehr installiert werden dürfen. Außerdem ist das System im Servicefall schnell ausgetauscht. Fazit: Besonders in engen Innenstadtbereichen, wo jeder Quadratmeter zählt, ist eine flach in den Bordstein eingelassene Ladevorrichtung für Elektroautos sinnvoll. Keine „Ladesäulenallee“, die die Sicht oder das Vorankommen auf dem Bürgersteig stört. Dennoch können sich E-Mobilisten um Stromnachschub für ihre Autos kümmern, ohne andere Verkehrsteilnehmer dadurch zu behindern.
Gesagt, getan
Nach einer Entwicklungszeit von nur zwei Jahren lag schließlich die erfolgreiche Typprüfung für das System vor und erste Anlagen konnten im Rahmen verschiedener Pilotprojekte ihrer Bestimmung übergeben werden. Erster Roll-out-Partner war der zur Rheinenergie AG gehörende Kölner Autostromanbieter TankE.
Ascan Egerer, Beigeordneter für Mobilität der Stadt Köln, unterstrich anlässlich der Eröffnung von vier Bordstein-Ladepunkten denn auch das zukunftsweisende Konzept dieser Technologie und verwies nicht ohne Stolz darauf, dass diese innovative Ladetechnik weltweit erstmals in der Stadt Köln zum Einsatz kommt. Die neuen Lademöglichkeiten befinden sich im Bereich der Dürener Straße, einem durch Wohn- und Geschäftsgebäude eng besiedelten Bereich im Stadtteil Lindenthal.
Breites Interesse
Aber auch zahlreiche weitere Städte in Deutschland und darüber hinaus stehen bereits in den Startlöchern für eine Einführung dieser unkomplizierten Form des Ladens von Elektroautos. So berichtet Christoph Müller, Leiter der Division Power Systems im Rheinmetall-Konzern, sogar über ein weltweites Interesse an den neuen Ladebordsteinen. Insbesondere aus seinem Kernmarkt Europa sind von Spanien bis Finnland inzwischen eine Vielzahl von Anfragen zu der neuen Technik eingegangen.
Bundesministerium beobachtet
Verständlich, dass auch die Nationale Leitstelle des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr die Entwicklung der verschiedenen Piloteinsätze der Ladebordsteine sehr genau beobachtet. Nicht wenige Kommunen in Deutschland haben bis heute noch keinen einzigen öffentlichen Ladepunkt, was unter anderem auf die genannten Platzprobleme sowie zusätzliche ästhetische Gründe zurückzuführen ist. Das neue System, erläutert Müller einen der zentralen Vorteile, „nutzt letztlich die Infrastruktur, die praktisch überall im Straßenraum vorhanden ist, und es kann schnell und vollkommen unkompliziert eingesetzt werden, ohne dass dadurch zusätzlicher Platzbedarf entsteht“.
Für den Chef von rund 10.000 Mitarbeitern im Bereich der zivilen Aktivitäten des Rheinmetall-Konzerns „ein klares Bekenntnis zur Klimaneutralität und ein weiterer Schritt bei der Transformation hin zur Elektromobilität“. Aber damit nicht genug, denn in Müllers Unternehmen werden auch noch weitere Zukunftstechnologien für den mobilen oder stationären Einsatz entwickelt, dazu zählen beispielsweise auch Komponenten für die Brennstoffzellentechnologie.
Gerüstet für innovative Lösungen
Das kommt nicht von ungefähr, denn Rheinmetall kann auf eine mehr als hundertjährige Entwicklungsgeschichte bei klassischen Verbrennungsmotoren zurückblicken und greift auf diese Erfahrung auch bei der Entwicklung neuer Technologien zurück.
Die jetzt in Köln eingesetzten Ladebordsteine stellen eine elektrische Leistung von 11 kW zur Verfügung, sind von ihrer Technik aber grundsätzlich auch für 22 kW Ladeleistung geeignet. „Die von den Systemen angebotene Ladeleistung hängt in erster Linie von der lokal zur Verfügung stehenden Anschlussleistung ab,“ erläutert Dr. Felix Stracke, der mit seinem Team im Rheinmetall Technology Center (RTC) für die Entwicklung der innovativen Lader verantwortlich zeichnet.
Stracke betreibt das System seit über einem Jahr im Live-Testbetrieb am Firmenstandort Neuss und verzeichnet anhand der Nutzerkommentare sowie der hohen Medienpräsenz seiner Ladebordsteine ein allgemein sehr positives Feedback. So ergab beispielsweise eine Umfrage im Onlineportal von heise unter 3.500 Befragten eine Zustimmung von 88% für diese Form des Ladens. Das macht Mut für die Zukunft.
Die Entwicklung geht weiter
Natürlich mussten auf dem Weg zum Produkt einige Herausforderungen bewältigt werden. Die Entwickler wollten zum Beispiel einen möglichst hohen Bedienkomfort bei der systembedingten vertikalen Steckerführung sicherstellen. Außerdem beschäftigten sie Fragen wie die Erkennbarkeit und Funktionalität bei Starkregen oder gar bei Eis und Schnee sichergestellt werden könnte. Und auch ein 40-Tonner sollte den Ladebordsteinen nichts anhaben können.
Dennoch lehnen sich Stracke und sein Team nach ihrem ersten Erfolg nicht zurück, sondern arbeiten zusammen mit der operativen Einheit von Pierburg bereits an einer optimierten Version für die Großserie. Mögliche Verbesserungen betreffen dabei vornehmlich das Innenleben der Lader, bei denen die Elektronik vereinfacht, das eingesetzte Material teilweise angepasst und letztlich auch die Endmontage im Werk erleichtert werden wird. Strackes klares Credo: „Um mit unserem Ladebordstein erfolgreich zu sein, muss das Ladeerlebnis für den Kunden so einfach und bequem wie möglich sein und der Betreiber muss damit Geld verdienen können.“ Dafür habe man Kunden, Betreiber und Städte sehr früh in die Entwicklung einbezogen, um ein Produkt auf den Markt zu bringen, das die Interessen aller berücksichtigt. So ist das Lademodul zum Beispiel innerhalb von nur einer Minute entnehmbar. Dadurch können vorgerüstete Straßenzüge sehr schnell mit funktionsfähigen Ladebordsteinen versehen werden. Die Entwickler – so die einhellige Rückmeldung – liegen damit absolut am Puls der Zeit.
Teamwork wie man es sich wünscht
Bereits seit dem zurückliegenden Jahr sind die Mitarbeiter des RTCs zudem sehr eng mit ihren Kollegen aus der operativen Einheit bei Pierburg verzahnt. Dazu Berthold Franz, Leiter der zuständigen Geschäftseinheit „Air Management“: „Gemeinsam mit den Spezialisten des RTC arbeiten wir im Rahmen eines integrierten Teamansatzes an der Serienversion. Außerdem treiben wir zusammen die Zertifizierung der Entwicklung voran und initiieren oder begleiten Pilotprojekte bei Kunden“. Im Verlauf des weiteren Roll-outs für die Großserie wird das neue Produkt später dann vollends in das Portfolio seines Geschäftsbereichs übergehen. Angesichts der sehr positiven europaweiten Resonanz können die Neusser zu Recht davon ausgehen, dass ihnen hier eine erfolgversprechende Innovation gelungen ist.
Absolut verbraucherorientiert denkt auch Stephan Segbers, bei der RheinEnergie AG zuständig für Vertrieb und Energiebeschaffung für die TankE. Das Laden von Elektroautos muss nach seiner Aussage vor allem unkompliziert, flächendeckend und benutzerfreundlich sein und Nutzer müssen das Gefühl haben, ihr Elektroauto überall laden zu können. Für ihn Voraussetzungen dafür, dass Elektromobilität auch auf breiter Basis angenommen wird. Und angesichts des Ziels der Bundesregierung, im dann deutschen Leitmarkt für Elektromobilität bis zum Jahr 2030 rund 15 Mio. Elektro-Pkw auf sowie eine Million Ladepunkte auf die Straße zu bringen, wird gerade diese Form des Ladens künftig wohl eher noch intensiver nachgefragt.
Und der Preis der Ladebordsteine? Der ist nach einhelliger Aussage der Experten am Ende mehr als wettbewerbsfähig, selbst wenn zwei Ladebordsteine benötigt werden, um eine Ladesäule mit Doppelanschluss zu ersetzen. Also Strom Marsch!
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