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Hat Tuning eine Zukunft?

1. Dezember 2022

Wir sprachen mit Jean Pierre Kraemer, dem Veredlungs-Spezialisten und Chef einer treuen Fangemeinde von mehr als 280.000 Youtubern in der BMW-Niederlassung seiner Heimatstadt Dortmund über seine Ansichten zum Auto, den Spaß am Tuning und wie er zum Fernsehen kam.

„Alles bis zu fünf Kilometer mit dem Rad, wenn das Wetter schön ist.“ 

Die meisten kennen ihn aus der Sport1-Kultsendung „Die PS-Profis – Mehr Power aus dem Pott“. Seit 2014 befindet er sich auch auf der „Road to 95“. In einer Serie von Videos dokumentiert er, welche Anstrengungen noch notwendig sind, um den CO₂-Flottenausstoß von Neuwagen bis zum Jahr 2020 auf 95 Gramm pro Kilometer herunterzubringen. 

Was bedeutet das „Auto“ für Sie?

Das hat sich über die Jahre verändert. Als 18-Jähriger war das Auto für mich alles. Aber ein Traum, der schwer erreichbar schien. Ich bin teilweise sogar mit der Straßenbahn hierher gekommen, um Autos anzusehen. Jetzt mit 34 bin ich in dieser Szene drin und bin auch stolz, dass für viele Leute in Deutschland mein Name von dem Wort „Auto“ nicht weit weg ist, aber ich sehe das Ganze wesentlich gelassener.

Findet man sich bei einer solch großen Zahl von Anhängern überhaupt noch zurecht, bei allen Kommentaren, die da kommen?

Ich bin zwar immer der Spaßvogel und lustig, aber ich beobachte alles. Ich beobachte absolut alles, jede Reaktion. Ich versuche so viel wie möglich zu lesen unter den Videos, um herauszufinden, was die Leute denn sehen wollen und speichere das schon ganz unbewusst ab und reagiere darauf, was sie schreiben, einhundertprozentig. Und ich denke, Youtube schaut mittlerweile jeder. Wir haben z.B. einen unglaublich hohen Frauenanteil und auch einen hohen Anteil an 60- bis 65-jährigen Männern.

Sind die Youtuber auch Ihre Tuning-Kunden?

Nein, mein Kundenkreis ist ja wesentlich kleiner, aber wenn man ein autobegeisterter Mensch ist, dann will man, glaube ich, auch jeden technischen Inhalt irgendwie verstehen. Die Kunden, die zu mir kommen, sind Leute die meiner Aussage vertrauen, die sagen: „Ja, der erklärt mir das gut, aufgrund seiner Aussage habe ich verstanden, was ich überhaupt kaufe.“ Und das ist glaube ich der Grund, warum viele Kunden zu mir kommen.

„Aus dir wird nie was!“

Und die Ökologie? Die Tunerfraktion schaut ja nicht so richtig auf den Benzinverbrauch?

Ich persönlich, ob man das glaubt oder nicht, habe jeden Tag aufs Neue das Spiel, den niedrigsten Benzinverbrauch zu erreichen. Liegt aber auch daran, dass ich satt bin. Ich fahre viel Motorsport seit einigen Jahren, ich habe auf der Straße keinerlei Interesse, Gas zu geben. Die Wenigsten denken das, aber ich bin eigentlich eher so der Typ „rechte Spur – 100 km/h“. Ich fahre auch sehr viel Fahrrad besonders im Umkreis von fünf Kilometern. Wenn die Sonne scheint, dann nehme ich für diese Strecken bei mir zu Hause häufig das Fahrrad.

Und was ist das besondere Feeling am Tunen?

Mir geht es dabei ums Verbessern. Ich bin der Meinung, dass die Autoindustrie einen sehr guten Job macht, egal in welcher Richtung. Mir geht es wirklich darum, ein Auto weiter zu verbessern, ob es das Fahren ist, ob es die Leistung ist, ob es der Sound ist, es muss wirklich besser sein.

Denken wir mal an Ihre „Road to 95“- Serie. Wenn wir im Jahr 2020 bei den 95 Gramm CO2 angekommen sind, dann ist ja im Tuning irgendwann der Spaß vorbei?

Ja, wir sind momentan in einer Phase, die höchste Effizienz aus dem Sprit herauszuholen. Das ist der größte Wandel, den meiner Meinung nach die Tuning-Szene mitbekommen hat. Da sind wir gerade mittendrin und das heißt Turbotechnik, also Aufladungstechnik oder E-Verdichter, die halt wirklich versuchen, die Effizienz so hoch wie möglich zu schrauben. Darum geht es auch beim Tunen. 

Würden Sie sagen, die Tuningszene hat eine Zukunft?

Ja, aber nicht wie sie jetzt ist. Sie wird sich innerhalb der nächsten Jahre massiv verändern, denn sie wird elektrisch.

Kann man da auch noch so stark eingreifen, wie beim Verbrenner?

Ich hoffe, dass ich es kann, aber das wird nicht leicht. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit dem Thema BMW i8, wir sind mit Tesla auch sehr nahe und experimentieren und holen uns auch immer Wissen, denn das wird ein ganz kalter Stoß für viele Tuner werden, die sich damit gar nicht beschäftigen. Die müssen dann ganz viel in ganz kurzer Zeit lernen.

Sein Auto tunen zu lassen, ist doch sicher auch nicht billig?

Ich bin kein Tuner, der auf bestimmte Käuferschichten abzielt. Wir bauen auch den Golf 2 um. Mir geht es ums Verbessern. Beim M4 ist das Potenzial zum Verbessern natürlich kleiner als bei einem Golf 4. Wichtig ist dabei, das Verhältnis zwischen Preis und Leistung der Tuningmaßnahme – das muss stimmen.

Sieht die Tuningszene vor einem grundlegenden Wandel: JP Kraemer.

Also keine 12 PS für 3000 Euro?

Ja, so ist es wirklich manchmal. Und dann wollen die Männer mich überreden, dass das doch was bringt. Die haben dieses Leistungsdiagramm im Handschuhfach und sagen sich „Boah, jetzt habe ich 3.000 Euro für 12 PS ausgegeben“ und reden sich ein, „der geht viel besser“. 12 PS ist bei einem Fahrzeuggewicht von 1.500 Kilogramm NICHT spürbar, Punkt! Aber ein Steuergerät für ein turboaufgeladenes Fahrzeug mit einer Basisleistung 220 PS, beispielsweise, erhöht diese auf 300 PS bei Kosten von nur 700 Euro. Das merkt man dann schon. Ich schaue deshalb sehr genau, was ich den Leuten empfehle.

Sie sind ja jetzt ein Mensch, der weltweit unterwegs ist und schon durch Ihre Eltern ein Weltenbürger. Ist Tuning ein eher europäisches Phänomen?

Wir haben hier keine Ahnung davon, was Tuning bedeuten kann. Wir sind die, die aufgrund des deutschen TÜVs das Fahrzeug am geringsten verändern. Jedes Land hat verschiedene Philosophien und verschiedene Herangehensweisen. Das möchte ich auch demnächst bei Youtube noch mehr thematisieren, indem wir anfangen zu reisen und den Leuten in Deutschland zeigen, wie jemand in Dubai, in Japan, China oder in Amerika sein Auto will. 

Waren Sie immer schon jemand, der den Leuten gerne etwas erklärt hat?

Es gibt eine ganz tolle Geschichte aus meiner Schulzeit. Ich habe ganz normal mein Abi gemacht und dann eine Ausbildung bei Porsche zum Automobilkaufmann. Und damals habe ich sehr viel gelesen und habe mich sehr viel mit Technik beschäftigt. Und dann habe ich meinem Berufsschullehrer immer erklärt, wie was funktioniert. Und der hat irgendwann gesagt: „Jean Pierre, aus dir wird nie was!“ Und das Lustige ist, wenn ich meine Mitschüler von damals irgendwo treffe, dann rufen die immer: „Aus dir wird nie was!“ 

Wie kommt man zum Fernsehen? Morgens aufgestanden, Telefon: „Wir suchen für unsere Sendung ,GRIP‘ jemand, der ein sehr schnelles Auto hat.“ JP: „Habe ich.“ Dreh gemacht, viel gesprochen (Auto war fast zu schnell). Anruf am nächsten Morgen vom Chef von Focus TV: „Sind Sie Herr Kraemer und wollen Sie eine Fernsehsendung für uns machen?“ Antwort JP: „Nein!“ Dies ging ungefähr ein Jahr so weiter, bis sich seine Meinung änderte. Mit dem bekannten Ergebnis.

(Artikel ursprünglich vom 15. April 2016)

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