Zwei Semester Vollgas
5. Dezember 2024
2. Dezember 2022
In Hamburg-Ottensen entsteht auf und neben einem traditionsreichen Werksgelände ein neues, gemischt genutztes Quartier mit Miet- und Eigentumswohnungen sowie gewerblichen Flächen.
Es war einmal ein großes Kolbenwerk, das mitten in einer pulsierenden norddeutschen Metropole lag. Darin wurden schon vor fast einhundert Jahren Kolben für Flugzeuge, Schiffe und auch Autos gebaut. Aber die enorme Konkurrenz durch andere Kolbenhersteller in der ganzen Welt machte dem Werk furchtbar zu schaffen. Nach langen Kämpfen musste es seinen Betrieb schließlich aus wirtschaftlichen Gründen einstellen. Viele Mitarbeiter verloren ihre Arbeitsstelle und ein Aufschrei ging durch die Stadt!
Was wie ein trauriges Märchen anfängt, war leider im Jahr 2009 für alle Beteiligten schmerzliche Realität. Aber die prosperierende weitere Entwicklung des früheren Kolbenstandortes in Hamburg kommt einem Märchen, das schließlich doch Wirklichkeit wurde, schon sehr nah.
Aber der Reihe nach: Ein Gelände von 35.000 Quadratmetern, das also rund der fünffachen Größe des Rasens im Volksparkstadion entspricht, das lässt man nicht einfach ungenutzt verkommen. So entstand zunächst die Idee einer Zwischennutzung als Übergangsregelung, während ein neuer Bebauungsplan für das Quartier entwickelt wurde. Das – so wusste man vorher – wird Jahre in Anspruch nehmen. So konnte man den Standort weiter mit Leben füllen, ohne dass notwendige weitere bauliche Maßnahmen behindert würden. Genau die damit erreichte „lebendige Vielfalt“ sollte sich später als symptomatisch für die weitere Entwicklung und Nutzung des Geländes erweisen.
Als Erste entdeckten nämlich findige Handwerker das Potenzial des Bestands der Industriebrache mit ihren stilvollen Backsteingebäuden, in denen in guten Zeiten schon Evelyn Hamann in einem Tatort mitgewirkt hatte. Innerhalb kurzer Zeit wurde ein Teil des Areals an Hamburgs Friedensallee zu einem pulsierenden Gewerbestandort, der sich zudem in den folgenden Jahren immer wieder als stimmungsvoller Rahmen für zahl- reiche Kulturveranstaltungen anbot. Es siedelten sich nämlich angesichts kostengünstiger Mieten nicht nur kleine Werkstätten und Handwerksbetriebe, sondern auch Kunst- und Kulturschaffende an. Die Idee schlug ein und ein Verein „Kolbenhöfe e.V.“ wurde als Interessenvertretung der neuen Mieter gegründet, der sich später sogar zu einer Genossenschaft entwickelte.
UMFANGREICHE ALTLASTENSANIERUNG
Eine industrielle Nutzung über knapp 80 Jahre hinterlässt schon allein aufgrund der seinerzeit betriebenen Gießerei zwangsläufig ihre Spuren. So entstand nach der Prüfung durch unabhängige Gutachter auch hier die Notwendigkeit einer umfangreichen Altlastensanierung, für die zunächst sogar Teile von Hallen abgerissen werden mussten. Bei der von der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie genehmigten Sanierung wurde anschließend das verunreinigte Erdreich abgetragen und durch frischen Boden ersetzt. Hiermit wurde somit sprichwörtlich der Boden für ein gutes Wohn- und Arbeitsumfeld bereitet.
INTENSIVE BÜRGERBETEILIGUNG
Aber damit nicht genug. Es musste ja zunächst für das Gelände samt umliegendem Gesamtquartier das besagte Bebauungsplanverfahren her, dessen Ergebnisse den Ansprüchen der Stadt, aber auch deren Bürger gerecht würden, und das gleichzeitig wirtschaftlich realisierbar wäre. In Hamburg gilt bei neuer Wohnungsbebauung zudem ein Drittelmix, der 30 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen vorschreibt.
„Wir haben deshalb von Anfang an auf eine intensive Bürgerbeteiligung bei der Entstehung und Ausgestaltung des neuen Quartiers gesetzt, denn nur eine aus dem Stadtteil gewachsene Entwicklung kann letztlich auch nachhaltig erfolgreich sein“, sagt Holger Gradzielski, Geschäftsführer der Rheinmetall Immobilien GmbH (RIG), der das frühere Werksgrundstück im Bezirk Altona gehört. Jedoch, so Gradzielski weiter, „bei einer solchen Lösung muss immer auch ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit gewährleistet sein!“
So wurde 2013 die „Dialogwerkstatt Friedensallee“ ins Leben gerufen. Im Rahmen dieser Initiative konnten sich Anwohner vor Ort über eine mögliche Planung informieren, aber auch ihre eigenen Ideen in den Planungsprozess einbringen. Gleichzeitig wurde unter Einbeziehung der Altonaer Bezirksvertretung ein städtebaulicher Wettbewerb ins Leben gerufen, dem sich zehn Architekturbüros stellten. Klare Zielvorgabe war hier eine gleichwertige Verteilung der Flächen für Wohnen und Gewerbe.
Die abschließende Bewertung der Entwürfe erfolgte durch eine Jury, wobei die Öffentlichkeit während des ganzen Prozesses durchgängig einbezogen wurde. Dies durch eine „gläserne Werkstatt“ und nicht zuletzt mit Hilfe spezieller Infopoints auch über das Bebauungsplanverfahren hinaus. Das Ergebnis des Wettbewerbs war eine gelungene Mischung aus Bestandsgebäuden und neu zu errichtenden Wohnhäusern, die durch Höfe verbunden sind. Und auch heute noch können sich Interessierte über einen weiterhin aktiven Internetauftritt www.kolbenhoefe.de inklusive einer Webcam über die Entwicklung und den Baufortschritt auf dem Gelände informieren.
DAS MÄRCHEN GEHT WEITER
2018 schließlich war die Planungsphase des Bebauungsplans in Ottensen auch amtlicherseits praktisch abgeschlossen. Ebenfalls Bestandteil dieses Plans war ein der Firma Henkel über ihre Tochter Schwarzkopf gehörendes Gelände, das direkt an die Kolbenhöfe angrenzt. Im gleichen Jahr erhielt die RIG, die dazu zwischenzeitlich ein Joint Venture mit der Otto Wulff Projektentwicklung GmbH eingegangen war, die Chance, diese zusätzlichen 46.000 Quadratmeter zu erwerben und ebenfalls zu entwickeln und zu bebauen. Bei allem mit im Boot war und ist der Altonaer Spar- und Bauverein (altoba), der zuvor bereits zwei Baufelder mit rund 13.000 Quadratmetern auf dem Gelände der Kolbenhöfe erworben hatte und für die Planung und Errichtung der öffentlich geförderten Wohnungen auf dem nun gewachsenen Gesamtareal verantwortlich ist.
Durch die Erweiterung schlug die Geburtsstunde der Kolbenhöfe II. Eine einmalige Gelegenheit für die RIG, wie Gradzielski erläutert: „Beide Grundstücke sind Teil des Bebauungsplans in Ottensen und haben den gesamten Planungsprozess gemeinsam durchlaufen. Entsprechend kannten wir die Besonderheiten des neuen Areals. Das vereinfachte für uns die Entwicklung des Gesamtquartiers in entscheidendem Maße.“
Mit diesem Flächenzuwachs der Kolbenhöfe wuchs auch die Zahl der geplanten Wohnungen auf rund 680, hiervon rund 200 öffentlich geförderte Wohnungen. Und weil zu einem echten Viertel auch ein Platz gehört, auf dem beispielsweise ein Wochenmarkt stattfinden kann, erhalten auch die Kolbenhöfe ihren prominenten Quartiersplatz.
LEBENDIGE VIELFALT ZEIGT VERMARKTUNGSERFOLGE
Gute Konzepte verbreiten sich schnell. Das gilt auch für die Kolbenhöfe. So hat die RIG außer der bereits sanierten Halle 7 auch schon einen Teil der derzeit noch im Bau befindlichen Wohngebäude weiterverkaufen können. Der Käufer erwirbt dabei 163 schlüsselfertige Mietwohnungen, von denen 26 öffentlich gefördert sind, sowie sechs Gewerbeeinheiten.
Als weiterer prominenter Käufer erkor das Hamburger Konservatorium die Kolbenhöfe zu seinem neuen Standort. Die traditionsreiche Musikausbildungsstätte wird in ein umgebautes ehemaliges Magazingebäude einziehen und es künftig als Musikschule und Akademie mit Proben- und Seminarräumen nutzen. Ferner wird ein neuer Konzertsaal errichtet, der baulich mit dem Magazingebäude verbunden wird. In dieser Mischung aus historischer Bebauung und Neubau wird zudem als Zeichen einer lebendigen und vielfältigen Quartiersentwicklung auch eine Musik-Kindertagesstätte zusätzlich für Leben sorgen.
In Musikschule, Akademie und vielen weiteren soziokulturellen Initiativen des Konservatoriums werden 11.000 Schülerinnen und Schüler, 300 Studierende und 240 Dozentinnen und Dozenten einmal dort musizieren, wo früher der Rhythmus der Gießmaschinen den Takt angab.
EIN SICHERER BODEN
Und die Handwerker und Gewerbetreibenden? Auch sie haben in der Zwischenzeit in die Kolbenhöfe investiert und mit ihrer Genossenschaft Kolbenwerk eG gemeinsam ihre Bestandshalle erworben. Dies sogar mit Hilfe und Unterstützung der RIG, die das Gebäude gewissermaßen auf die individuellen Bedürfnisse der neuen Eigentümer zugeschnitten und auf den neuesten technischen Stand gebracht hat. So arbeiten dort heute knapp 30 unterschiedliche Kleinbetriebe. Von einer Oldtimer-Werkstatt, einer Motorrad-Selbsthilfe, einer Kunstschmiede, einer Schreinerei und einem Surfbrettbauer bis hin zu Medienschaffenden und Kreativen. Rund 100 Mitarbeiter haben in diesen Betrieben ihr berufliches Zuhause. Einhellige Meinung der neuen Eigentümer: Man ist zufrieden, in den aufwändig renovierten Hallen und Räumen perspektivisch auf gesicherter Ebene weiterarbeiten zu können. Das freut auch angesichts der gemeinsamen Vorgeschichte, und wenn sie nicht gestorben sind, dann …
ZENTRALE LAGE
Im Rahmen eines 8,5 Hektar großen Geländes in Hamburg-Ottensen bilden die Kolbenhöfe als eines von verschiedenen Einzelprojekten den zentralen Kern des künftigen Quartiers an der Friedensallee. Dort entstehen insgesamt 1.200 neue Wohnungen, von denen rund 400 öffentlich gefördert werden. Das gesamte Areal beinhaltet außerdem weitere Flächen für Kleingewerbe, eine Kindertagesstätte und Büros für mehr als 1.500 Beschäftigte. Nicht zu vergessen die Werkstätten für rund 30 lokale Handwerksbetriebe in der von Grund auf renovierten Bestandshalle des früheren Werkes.
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