Im GesprächGesellschaftMeinung

„Enorme Chancen“

15. August 2023

Grüner Wasserstoff ist zurzeit noch ein knappes und vor allem teures Gut. Kann er fossile Energieträger ersetzen und wenn ja, in welchen Bereichen? Darüber spricht DIMENSIONS mit Prof. Dr. Claudia Kemfert. Im Interview erläutert die renommierte Energieökonomin ihre Sicht auf Potenziale wie auch Grenzen des klimafreundlichen Gases.

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(Foto: Oliver Betke)

PROF. DR. CLAUDIA KEMFERT,

Jahrgang 1968, leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) in Berlin und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität in Lüneburg. Die mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin ist zudem als Gutachterin und Politikberaterin in verschiedenen Nachhaltigkeitsbeiräten und Kommissionen tätig. Ihr jüngst erschienenes Buch trägt den Titel „Schockwellen“.

Frau Professor Kemfert, wird klimafreundlich erzeugter Wasserstoff unser wichtigster Energieträger für die Zukunft?

Das Energiesystem der Zukunft ist fossilfrei und damit weitestgehend emissionsfrei, effizient und energiesparsam. Aus Ökostrom hergestellter grüner Wasserstoff wird einer der wichtigsten Energieträger sein, aus zwei Gründen: 1. Grüner Wasserstoff wird in Zeiten des Ökostrom-Überflusses hergestellt und ist damit ein wichtiges Speichermedium. Als Langfristspeicher kann er somit in Zeiten von geringeren Mengen des Ökostroms genutzt werden. 2. Grüner Wasserstoff wird gebraucht in den Bereichen, in denen eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Eine direkte Elektrifizierung ist grundsätzlich am effizientesten, aber nicht überall möglich.

In welchen Sektoren sehen Sie Potenzial für grünen Wasserstoff?

Das Potenzial liegt vor allem in der Industrie, aber auch in Teilen des Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehrs. In Letzteren wird eine Methanisierung des Wasserstoffs hin zu E-Fuels eingesetzt werden. Man muss immer beachten: Wasserstoff muss aufwändig hergestellt werden, d. h. die Wirkungsgrade sinken mit weiteren Umwandlungsschritten. 50 bis 80 Prozent der Ausgangsenergie gehen im Umwandlungs- und Anwendungsprozess verloren. Grüner Wasserstoff ist damit kostbar und nur etwas für besondere Anlässe – quasi der Champagner unter den Energieträgern. Daher ist die direkte Nutzung des Ökostroms, wie beispielsweise in der Elektromobilität oder durch Wärmepumpen oder Ähnliches, immer am effizientesten und billigsten.

Der Bedarf an grünem Wasserstoff steigt in den nächsten Jahren extrem an: Was würden Sie sich vor diesem Hintergrund von der Politik wünschen?

Der Bedarf an grünem Wasserstoff wird steigen müssen, sonst erreichen wir die Klimaziele nicht. Ich wünsche mir von der Politik eine umfassende Unterstützung des Markthochlaufs. Als Allererstes wird viel mehr Ökostrom benötigt, sonst kann auch kein grüner Wasserstoff hergestellt werden. Das Ausbautempo von Ökostrom muss deutlich erhöht werden, und zwar in ganz Deutschland. Dann sollten Elektrolyse-Anlagen nicht mit unnötigen Abgaben und Umlagen belegt werden, sondern im Gegenteil finanziell gefördert werden. Und die Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass sie ausgebaut werden können. Gerade in Gegenden mit viel Überschuss-Ökostrom sollte dieser genutzt und nicht abgeregelt werden. Und Deutschland sollte Bürokratie abbauen und die Digitalisierung fördern. Deutschland muss in puncto Genehmigungen schlanker und innovativer werden.

… und von der Wirtschaft?

Dass sie endlich die lang angekündigten Hebel umlegt und in die grüne Wirtschaft massiv investiert. Die Zögerlichkeit und von manchen sogar gezielte Behinderung des Transformationsprozesses hin zu einer echten emissionsfreien Wirtschaftsweise sollte endlich beiseitegelegt und durchgestartet werden. Investitionen in die fossil- und damit emissionsfreie Wirtschaft schaffen Wertschöpfungen und zukunftsfähige Jobs. Dies stärkt die Resilienz und macht immun gegen weltweite geopolitische Krisen. Mehr Win-win-win geht nicht.

Deutschland hat das Ziel, in der Wasserstoff-Technologie eine führende Rolle in Europa und weltweit einzunehmen. Haben wir die Chance, dieses Ziel zu erreichen?

Ja, das haben wir. Aber man muss deutlich sagen: nur, wenn mehr Ökostrom ausgebaut wird. Deutlich mehr. Wir stehen in harter Konkurrenz zu Ländern, die grünen Wasserstoff in sonnenreichen Regionen zu sehr viel geringeren Preisen herstellen können. Der Wettbewerbsvorteil in Deutschland liegt in drei Bereichen: 1. Technologie und Know-how, 2. eine noch immer starke Industrie und ein innovativer Mittelstand und 3. stabile politische Verhältnisse durch echte Demokratie. Letzteres darf in Zeiten der derzeit zu vielen geopolitischen Instabilitäten nicht unterschätzt werden. Wenn wir alles zusammen effektiv nutzen und ausspielen, haben wir große Chancen, in puncto Wasserstoff-Technologie eine führende Rolle einzunehmen.

Was ist aus Ihrer Sicht grundsätzlich erforderlich, um die entsprechenden Infrastrukturen und Rahmenbedingungen, z. B. für Transport und Speicherung, aufzubauen?

Deutschland wird zukünftig einen Großteil des grünen Wasserstoffs importieren müssen. Dafür ist eine ausreichende Infrastruktur auch in Form von Terminals und Pipelines erforderlich. Zum Aufbau dieser Infrastrukturen sind gezielte Förderungen und ausreichende Rahmenbedingungen für die Industrie nötig.

Welche Faktoren könnten für einen verbreiteten Einsatz von Wasserstoff im Verkehr die größten Hindernisse oder womöglich sogar „Showstopper“ sein?

Im Verkehr liegen nicht die größten Anwendungspotentiale von grünem Wasserstoff, da die direkte Nutzung des Ökostroms sehr viel effizienter ist, das heißt höhere Wirkungsgrade hat als Wasserstoff. Um es plastischer zu sagen: Die Nutzung von Wasserstoff beziehungsweise E-Fuels im Verkehr bedeutet fünf bis acht mal so viel Ökostrom als wenn man diesen direkt nutzt. Wasserstoff bzw. E-Fuels werden in Teilen des Schwerverkehrs, im Schiffs- oder Flugverkehr nötig sein. Um sie da zu nutzen, ist auch wiederum eine Infrastruktur nötig. Das heißt, eine nicht ausreichend ausgebaute Infrastruktur, hohe Kosten und andere, effizientere technische Alternativen können mögliche Hindernisse sein.

Können wir in puncto Wasserstoff-Strategie vom Ausland lernen und welche Länder sind uns voraus?

Vor Jahrzehnten wurde bereits in vielen Industriestaaten die Wasserstoff-Gesellschaft ausgerufen, die sich aber nirgendwo wirklich durchgesetzt hat. Japan hat sehr früh auf Wasserstoff gesetzt, durch den Ausbau der Infrastruktur und die Ermöglichung breiter Anwendungsfelder. Japan hat sehr viel Atomenergie und daher hohe Mengen von Strom gehabt, die für die Herstellung von Wasserstoff nötig sind. Im Pkw-Bereich setzten sie früh auf Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge. Da sich heute Elektrofahrzeuge als effizientere Alternative etablieren, steuern auch sie dort zumindest im Pkw-Bereich um. Weltweit starten aktuell viele Wasserstoff-Produktionen, beispielsweise in Holland, Asien oder im arabischen Raum. Eine klare und umfassende Wasserstoff-Strategie gibt es m. E. nirgendwo. Zumindest nicht in dem Umfang, wie sie nötig wäre. Man sieht hier und da einige Projekte oder Vorhaben.

Ergreift Deutschland seine Chancen zu spät?

Eigentlich hätten wir die besten Ausgangsbedingungen schon vor 20 Jahren gehabt. Wenn wir die Energiewende nicht unnötig ausgebremst hätten, den Ausbau erneuerbarer Energien nicht abgewürgt und wichtige Industrien und Know-how hätten abwandern lassen, hätten wir heute ausreichend Ökostrom, könnten zuhauf Wasserstoff aus Überschuss-Ökostrom herstellen und wären zu Recht noch immer Umweltschutz-Land Nummer eins. Diesen Vorteil haben wir leider verspielt. Nun müssen wir wieder aufholen und wieder besser werden. Die Energiewende bietet enorme technologische und wirtschaftliche Chancen.

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