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Der Bordstein als Ladesäule

18. Dezember 2023 - von Dr. Felix Stracke

Die Schaffung von Ladelösungen für Elektromobilität stellt Kommunen vor vielfältige Probleme. Ein Pilotprojekt von Rheinmetall, TankE und der Stadt Köln zeigt, wie Lade-Infrastruktur in Bordsteine integriert werden kann – platzsparend und wartungsfreundlich.

Ab dem Jahr 2035 dürfen in der EU keine Neuwagen mit Verbrennermotor mehr zugelassen werden. Damit rückt das Aus für solche Autos unaufhaltsam näher – und der möglichst schnelle und flächendeckende Umstieg auf lokal-emissionsfreie, umweltschonende Elektromobilität ist nahezu alternativlos. Das begleitende politische Ziel, bis zum Jahr 2030 15 Millionen Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen, erzeugt angesichts der aktuell 1,1 Millionen Elektrofahrzeuge einen enormen Handlungsdruck. Bisher wurde die Antriebswende insbesondere durch Personen mit privater Lademöglichkeit getragen. Der Mehrheit der Bevölkerung steht eine solche Möglichkeit allerdings nicht zur Verfügung, denn die meisten Menschen leben in Mehrfamilienhäusern ohne eigenen Stellplatz und ohne entsprechende Lademöglichkeit. Damit stehen der sorgenfreie Betrieb und letztlich auch der Kauf eines E-Fahrzeugs in starker Abhängigkeit zur öffentlich zugänglichen Lade-Infrastruktur. Dementsprechend müssen ausreichend Lademöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, um das Ziel einer schnell wachsenden Anzahl an E-Fahrzeugen zu erreichen.

Den Mittelpunkt der Gesamtstrategie bildet ein möglichst einfacher, standortnaher, selbstverständlicher und diskriminierungsfreier Ladevorgang. Die Kommunen haben als Schlüsselakteure in Metropolregionen und Innenstädten schon zu Beginn der automobilen Revolution Schwierigkeiten, ausreichend Flächen für Lade-Infrastruktur im öffentlichen Straßenraum zur Verfügung zu stellen. Als viertgrößte Stadt Deutschlands steht auch Köln bei der Mobilitätswende vor den vielfältigen Herausforderungen einer weiterwachsenden Metropole. Die Stadt sieht in der Elektromobilität eine wichtige Antriebstechnologie, durch die nicht nur die Luftqualität verbessert, sondern auch die Lärmbelastung deutlich reduziert werden kann, denn die E-Fahrzeuge fahren deutlich leiser als die bisher verbreiteten Verbrenner.

Alternative zur Ladesäule

In diesem Zusammenhang soll in den kommenden Monaten der Startschuss für ein Pilotprojekt zu innovativer Lade-Infrastruktur fallen. Beteiligt sind die Stadt, die Rheinenergie-Tochter TankE, die zu den Stadtwerken Köln gehört, und der Technologiekonzern Rheinmetall. Mit Stand September 2023 betreibt TankE bereits ein flächendeckendes Netz von 420 Ladepunkten im öffentlichen Straßenraum Kölns. Die Suche nach Standorten im dicht besiedelten Kölner Stadtraum verlief zu Beginn noch relativ problemlos. Mittlerweile stößt die Stadt aufgrund des hohen Platzbedarfs konventioneller Lade-Infrastruktur immer häufiger an städtebauliche und stadtgestalterische Grenzen.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Ladesäulen fügen sich die Ladebordsteine unauffällig ins Stadtbild.

Neue innovative Konzepte wie der von Rheinmetall 2022 vorgestellte Ladebordstein stellen daher dringend benötigte alternative Lösungen dar, um eine ausreichende Lade-Infrastruktur sukzessive und möglichst unkompliziert aufbauen zu können. Der Ladebordstein setzt, anders als etwa die Ladesäule, auf die Ertüchtigung und intelligente Nutzung vorhandener städtischer Infrastruktur: den Bordstein. Dieser wird durch eine nahezu unsichtbare Integration von Ladeelektronik zur Ladestation – jedoch ohne die mit einer Ladesäule verbundenen Einschränkungen, wie hoher Platzbedarf, geringe Punktedichte, Verschlechterung des Stadtbilds und hohe Kosten. Durch den Ladevorgang direkt am Bordstein gehören auch lange Kabel über Gehwegen der Vergangenheit an, und der Eingriff in den öffentlichen Raum wird auf ein Minimum reduziert. Um den Ausbau der Lade-Infrastruktur angesichts mangelnder Flächenverfügbarkeit weiterhin sicherstellen zu können, ist der Ladebordstein ein wichtiger Lösungsansatz, der sich insbesondere für Anwendungen im Bereich Straßen-, Kunden- sowie Mitarbeiter-und Park-and-Ride-Parkplätze eignet. Auch für historische Altstädte ergeben sich mit Blick auf den Denkmalschutz durch die quasi minimalinvasive Technik wertvolle Ladelösungen.

Als Betreiber einer Vielzahl an öffentlichen Ladestationen kennt die projektbeteiligte TankE die Herausforderungen, öffentliche Lade-Infrastruktur so effizient und städtebaulich verträglich wie möglich zu gestalten. Im Rahmen des Pilotprojekts arbeiten die Projektpartner nun gemeinsam mit der Stadt Köln daran, die richtigen Standorte für den Testbetrieb festzulegen. Mit der Erprobung der Ladebordsteine im öffentlichen Parkraum nimmt die innovative Technik dabei die nächste Hürde auf dem Weg zum flächendeckenden Verbau.

Nach umfangreichen internen Tests mit Pilotkunden auf dem Gelände von Rheinmetall lautet das Projektziel nun, die reale Situation im Verkehrsraum abzubilden und daraus weitere Optimierungspotenziale unter anderem zur Usability, zum Nutzungsverhalten und zur Systemalterung generieren zu können. Hierzu werden mehrere Systeme an zwei unterschiedlichen Standorten im Kölner Stadtgebiet installiert, um nicht nur die Akzeptanz, sondern auch die städtebaulichen und gestalterischen Vorteile zu validieren. Zudem soll evaluiert werden, inwiefern sich Vorteile, wie das einfach zu entnehmende Elektronikmodul, hinsichtlich Wartung und Systemverfügbarkeit positiv auf die Lebenszykluskosten des Betreibers auswirken.

Ein Großteil der Arbeiten, beispielsweise der Anschluss an das Stromnetz, unterscheidet sich nicht von der Installation einer konventionellen Ladesäule. Wichtig für Betreiber und Dienstleister von Lade-Infrastruktur, wie die hier beteiligte TankE, ist hingegen die Skalierbarkeit. Die Installation von so genannten Dummybordsteinen, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit dem Lademodul nachgerüstet werden können, ermöglicht wünschenswerte Synergieeffekte und verringert Kosten, unter anderem hinsichtlich Planung, Bewilligung und Baumaßnahmen. Ganze Straßenzüge oder Parkplätze können so erschlossen und für die Integration von Ladebordsteinen vorbereitet werden, die dann je nach Bedarf in Betrieb genommen werden. Die Nachrüstung erfordert dabei nur wenige Minuten, ebenso wie die Wartung, für welche die IP68-gekapselte Elektronikeinheit leicht entnommen werden kann.

Durch die nahezu unsichtbare Integration der Ladeelektronik wir der Bordstein zur Ladestation. Die Aktivierung der Systeme erfolgt mit konventionellen Charge-Karten, Apps oder per QR-Code. Die verfügbare Ladeleistung liegt bei bis zu 22 Kilowatt.

Einfache Handhabung

Für Nutzerinnen und Nutzer der Systeme ergibt sich im Vergleich zu einer herkömmlichen Ladesäule keine große Umstellung – weder in der Nutzung noch in der verfügbaren Ladeleistung, die bei bis zu 22 Kilowatt (kW) liegt. Die Aktivierung der Systeme erfolgt mit konventionellen Charge-Karten, Apps oder per QR-Code. Die Handhabung ist schnell, sicher und kann einhändig ohne Bordsteinkontakt erfolgen. Die verbaute Hardware ermöglicht ein Last-Management, das die verfügbare Leistung intelligent auf eine bestimmte Anzahl an Verbrauchern, beispielsweise pro Straßenzug, verteilt. Die Systeme verfügen zudem über ein intelligentes Heiz- und Kühlkonzept, um den zuverlässigen Betrieb zu jeder Jahreszeit zu garantieren. Möglicher Schmutzeintrag wurde minimiert und gleichzeitig die Schmutzverträglichkeit maximiert. Für den Fall, dass beides nicht ausreichend sein sollte, ist das System leicht zu reinigen. Nach bisherigen internen Tests haben sich diesbezüglich im Feld aber keine Probleme ergeben. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen zeitnah eine Million öffentliche Ladepunkte entstehen, um dem dringend benötigten wachsenden Bedarf gerecht werden zu können. Die Stadt Köln hat bereits 1.000 neue Ladepunkte in Auftrag gegeben. Rheinmetall bietet mit der neuen Ladedimension eine technologische Lösung, um den weiteren Aufbau einer Lade-Infrastruktur auf breiter Basis zu ermöglichen. Durch das gemeinsame Pilotprojekt mit der Stadt Köln und TankE erfährt die Erprobung nun die notwendige kommunale und politische Unterstützung.

Dieser Artikel ist zuerst in der Fachzeitschrift stadt + werk erschienen.


Autor

Dr. Felix Stracke

ist Abteilungsleiter im Rheinmetall Technology Center und dort für die Entwicklung innovativer Produkte und Technologien im Themenbereich „New Mobility“ verantwortlich.

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