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Das strategische Konzept der NATO

3. Dezember 2022 - von Dr. Theodor Benien

Neuorientierung bei der NATO: Das westliche Verteidigungsbündnis überdenkt seine Russland-Politik. Im Mittelpunkt der neuen Strategie stehen Verteidigung, Krisenprävention und Sicherheit.

Das Hauptquartier der NATO in Brüssel. (Bild: Nato)
Bild oben: Bundeskanzler Olaf Scholz und Litauens Präsident Gitanas Nauseda beim EFP-Bataillon der NATO in Rukla. Der Verband steht unter der Führung der deutschen Bundeswehr. EFP steht für „Enhanced Forward Presence“ und soll zur Abschreckung gegenüber Russland dienen. (Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Die NATO hat das mit Spannung erwartete neue strategische Konzept verabschiedet und damit auf den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine sowie auf die sich ändernden geopolitischen und strategischen Realitäten reagiert. Bei seinem Gipfeltreffen, das vom 29. bis 30. Juni 2022 in Madrid stattfand, zeigte sich das westliche Verteidigungsbündnis fest entschlossen, das strategische Ziel Russlands, die politische Friedensordnung in Europa mit militärischen Mitteln zu verändern, nicht tatenlos hinzunehmen.

Ausgehend von einer zunehmend fragilen und unvorhersehbaren Lage in der Welt, die immer mehr durch politische Instabilitäten, strategischen Wettbewerb und fortschreitenden Autoritarismus beeinflusst wird, heißt es in dem strategischen Konzept, „dass es die zentrale Aufgabe der NATO ist, unsere kollektive Verteidigung auf der Grundlage eines 360-Grad-Ansatzes zu gewährleisten.“

DREI KERNAUFGABEN

Dies bedeutet im Klartext, dass sich das westliche Bündnis ab sofort auf drei Kernaufgaben konzentrieren wird: Abschreckung und Verteidigung, Krisenprävention und Krisenbewältigung sowie kooperative Sicherheit. Ausdrücklich bekennt sich das westliche Bündnis auch zu Artikel 5 des Nordatlantikvertrages, in dem die gegenseitige Verteidigungsbereitschaft der 30 NATO-Mitgliedstaaten geregelt ist: Ein Angriff auf einen Staat ist ein Angriff auf alle anderen Staaten.

Das strategische Konzept beginnt mit einer klaren Analyse der globalen Bedrohungen für die NATO-Mitgliedstaaten und stellt besorgt fest, dass im euro-atlantischen Raum kein Frieden herrscht. Die Unsicherheit über die politisch-strategische Lage in der Welt ist sehr groß. Wörtlich heißt es in dem Konzept: „Wir können die Möglichkeit eines Angriffs auf die Souveränität und territoriale Unversehrtheit von Verbündeten nicht ausschließen.“ Anders als bisher wird die russische Föderation nicht mehr als Partner beurteilt, sondern als „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten“.

Auch der internationale Terrorismus sowie die Konflikte und Instabilitäten in Afrika und im Nahen Osten werden als Bedrohung und Herausforderung eingeschätzt. Das Gleiche gilt für China, das aus Sicht der NATO zu seiner Strategie, seinen Absichten und dem militärischen Kräfteaufwuchs bewusst im Vagen bleibt.

Die NATO, kurz für North Atlantic Treaty Organization, wurde 1949 gegründet. Das Hauptquartier ist seit 1967 in Brüssel. Aktuell sind 30 Staaten im Nordatlantikpakt vertreten, Finnland und Schweden sind Beitrittskandidaten.

Im Mittelpunkt des neuen strategischen Konzepts stehen drei klassische Kernaufgaben. Sie sollen das westliche Bündnis insgesamt stärken und fit für die Zukunft machen:

Abschreckung und Verteidigung. Grundlage der Abschreckung und Verteidigung der NATO ist eine Mischung aus nuklearen, konventionellen und Raketenabwehrfähigkeiten, ergänzt durch Weltraum- und Cyberfähigkeiten. Dieses Dispositiv soll deutlich verstärkt werden, um jedem potenziellen Gegner die Möglichkeit zur Aggression zu verwehren. Auch der maritimen Sicherheit sowie der Digitalisierung und Nutzung des Weltraums und des Cyberraums wird eine hohe Bedeutung zugemessen.

Krisenprävention und Krisenbewältigung. Die 30 Staats- und Regierungschefs der Atlantischen Allianz haben außerdem beschlossen, ihre bisherigen Anstrengungen zu erhöhen, um Krisen, Kriege und Konflikte besser vorhersagen und ihnen vorbeugen zu können. Krisenprävention wird als wesentlicher Beitrag zur Erreichung von Stabilität und Sicherheit gesehen. Krisenbewältigung soll durch eine engere Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der Afrikanischen Union etc. ausgebaut werden.

Kooperative Sicherheit. Als Konsequenz dieser dritten Kernaufgabe bekräftigt das strategische Konzept eine „Politik der offenen Tür“ für alle demokratischen Staaten in Europa, die die Werte des westlichen Bündnisses teilen. Die EU wird als „einzigartiger und unentbehrlicher Partner“ für die NATO betrachtet. EU und NATO spielen bei der Förderung von Frieden und Sicherheit eine einander ergänzende und sich gegenseitig verstärkende Rolle.

DER KURS STEHT FEST

Insgesamt gesehen kann das neue strategische Konzept als ein richtungsweisendes sicherheits- und verteidigungspolitisches Grundlagendokument bewertet werden, mit dem die NATO ihren Kurs gegenüber zukünftigen Bedrohungen festgelegt hat. Da die politische Führung in Moskau durch die Invasion in der Ukraine welt- weit massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren hat, wird es unvermeidbar sein, dass NATO und EU ihre bisherige Russland-Politik komplett überdenken und eine Neuorientierung vornehmen müssen. Eine zuverlässige Prognose, zu welchen politischen Veränderungen und militärischen Kräfteverhältnissen dies langfristig in Europa führen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich.

Autor

Dr. Theodor Benien

Hat über 30 Jahre als Leiter Kommunikation in verschiedenen Divisionen und Business Units der Airbus-Gruppe gearbeitet und war zuletzt Vice President Communications im Eurofighter-Konsortium. Bevor er 1989 seine Laufbahn in der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie begann, hat er bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gearbeitet. Dr. Benien hat Politikwissenschaft, neuere Geschichte und Amerikanistik in München und Frankfurt studiert. Seit 2020 arbeitet er als selbstständiger Kommunikationsberater mit Schwerpunkt „Internationale Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“.

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