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Wie Brisbane von Schneizlreuth lernt

15. August 2023

16 Nationen vertrauen der Täuschkörper-Technik MASS, der neueste Auftraggeber ist Australien. Die Erfinder des maritimen Abwehrsystems sitzen im malerischen Örtchen Schneizlreuth in Bayern – ein Wissenstransfer zum anderen Ende der Welt.

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Über MASS

  • Das Schiffsschutzsystem MASS schützt Schiffe und Boote vor vielfältigen Bedrohungen vor Angriffen mit Anti-Schiffs-Flugkörpern oder lasergelenkten Waffen.
  • Das System besteht aus drei Komponenten: der Täuschkörper-Munition, der Abschussanlage aus leichter Karbonfaser und der taktischen Einsatz-Software.
  • Wichtigster Bestandteil der Munition sind Millionen hauchdünne Glasfasern, die in der Luft wie Antennen agieren. Sie müssen so in der Patrone angeordnet sein, dass sie sich später gleichmäßig verteilen. Die Glasfasern empfangen das Radarecho der Rakete und täuschen es mit schiffsähnlichen Signalen.
  • Des Weiteren sind Wärmeplättchen in MASS verbaut. Zündet man diese an, so erzeugen sie Wärme – mehr als ein Schiffskörper –, dadurch wird die Rakete abgelenkt. Zusätzlich für Verwirrung sorgt Rauch, der den Laserstrahl unterbricht.
  • Je nach Art des angreifenden Objekts erzeugt das System ein spezifisches Muster. Ein „Täuschvorhang“ für eine infrarotgesteuerte Rakete sieht anders aus als beispielsweise der für eine radargesteuerte Rakete. Auch falls die Rakete registriert, dass sie ihr Ziel verfehlt hat und das Schiff erneut ins Visier nimmt, berechnet dies die taktische Software von MASS und reagiert unmittelbar darauf.
  • MASS lässt sich auf Schiffstypen jeglicher Größe installieren. Es kann mit geringem Aufwand in bestehende Führungs- und Waffeneinsatzsysteme integriert oder als Stand-alone-System betrieben werden. Standardmäßig besteht MASS aus einem bis sechs richtbaren Werfern, die jeweils 32 Schuss so genannte Omni-Trap-Täuschkörpermunitionen verschießen können.
  • Neben MASS produziert Rheinmetall auch das multifunktionale Selbstschutzsystem ROSY für gepanzerte Fahrzeuge und BIRDIE, ein Schutz- und Scheinzielsystem für Luftfahrzeuge.
  • Insgesamt sind 379 Werfer (Australien inkludiert) auf 42 Schiffsklassen im Einsatz.

Ein feindlicher Marschflugkörper im Anflug auf eine Fregatte auf hoher See. Erreicht er sein Ziel, wird der Angriff viele Menschenleben kosten. Doch kurz vor dem Einschlag geschehen seltsame Dinge: Die Fregatte verschwindet hinter einer Art Vorhang aus Rauch und Lichtblitzen – fast wie ein Feuerwerk. Ist der Dunst verflogen, ist das Schiff verschwunden und die Rakete unverrichteter Dinge ins Meer gestürzt.

Diese spektakulären Szenen, die aussehen wie ein Zaubertrick von David Copperfield, gehören zu einem Demonstrationsvideo für MASS, kurz für Multi Ammunition Softkill System, einer hoch effektiven militärischen Abwehrmaßnahme. Insgesamt 16 Nationen statten ihre Marineeinheiten mit der Täuschkörper-Munition von Rheinmetall aus, als jüngster Kunde setzt Australien auf MASS.

Made in Schneizlreuth-Fronau

Mit Zauberei hat MASS freilich wenig zu tun, eher mit Fachwissen, Präzision – und einem langen Atem. Am besten weiß das Martin Fegg, der geistige Vater des Systems. Seit 1993, also seit 30 Jahren, beschäftigt sich der Physiker mit MASS. Damals noch im Auftrag der Firma Buck Fronau, die 1998 von Rheinmetall übernommen wurde. Inzwischen ist Fegg Produktbereichsleiter Schutz Softkill der Rheinmetall Waffe Munition. Der Standort im malerischen Örtchen Schneizlreuth-Fronau im Berchtesgadener Land ist mit rund 70 Mitarbeitern eine der kleinsten Niederlassungen des Konzerns. Klein, aber oho, denn MASS ist Weltmarktführer: „Der Fronauer Spirit ist im ganzen Konzern bekannt“, lacht Fegg.

Die meisten Staaten, die das Softkill-System von Rheinmetall verwenden, importieren Munition und Abschussanlagen aus Deutschland. Mit Australien verhält es sich anders: Der neue Auftrag geht mit einem Technologietransfer einher. Rheinmetall Defence Australia mit Sitz in Redbank bei Brisbane soll MASS in Lizenz fertigen und die Royal Australian Navy so vor Ort mit den Täuschkörper-Anlagen versorgen. „Der Auftrag ist der erste Marineauftrag dieser Art, den Rheinmetall in Australien erhalten hat, und stellt einen bedeutenden Meilenstein für den Ausbau der industriellen Präsenz in Australien dar“, freut sich Nathan Poyner, Geschäftsführer von Rheinmetall Defence Australia. Aber: Von heute auf morgen geht das nicht.

Martin Fegg im Schulungsraum in Schneizlreuth neben seiner Erfindung. Seit 30 Jahren beschäftigt sich der Physiker mit MASS. (Foto: Robert Wagner)

Step by Step

„Der Technologietransfer erfolgt fließend, Step by Step“, sagt Martin Fegg. Zunächst wird MASS auch für Down Under in Schneizlreuth produziert. „Unsere australischen Kollegen kommen hierher und werden in unserer Fertigung angelernt. Wir erstellen natürlich auch einen Dokumentensatz für Australien. Dann wird die Fertigung in Brisbane aufgebaut – das wiederum in Begleitung von deutschen Mitarbeitern, die bei der Inbetriebnahme dabei sind“, erklärt der Bereichsleiter. Allein dieser Prozess kann bis zu drei Jahre dauern. „Aber selbst nach dieser Phase kommen die Bauteile für das Werfer- und Munitions-Kit aus Deutschland.“ Erst wenn die Fertigung reibungslos läuft, kommen australische Zulieferer für die Bauteile ins Spiel.

Australien ist nicht die erste Nation, die auf die Produktion im eigenen Land setzt. Auch Kanada und Südkorea fertigen MASS in Lizenz. Für den Bereich Maritime Schutzsysteme von Rheinmetall ist Australien aber der bisher größte Einzelauftrag mit einem perspektivischen Volumen von bis zu 1 Milliarde Australischen Dollar (ca. 610 Millionen Euro). Zunächst sollen Zerstörer der Hobart- und Fregatten der ANZAC-Klasse der Royal Australian Navy mit MASS ausgestattet werden, mit Option zur Ausstattung der gesamten Flotte.

Dass Rheinmetall Waffe Munition den Großauftrag der Royal Australian Navy gewonnen hat, ist der erfolgreichen Arbeit des gesamten Teams in Schneizlreuth zu verdanken. (Foto: Robert Wagner)

Eindrucksvolle Demonstration

Bevor sich das australische Verteidigungsministerium für MASS entschied, wurde das System vor Ort präsentiert – und das mitten in der Corona-Pandemie. Das bedeutete für Martin Fegg und sein Team zwei Wochen „Bonus“-Aufenthalt in einem Quarantäne-Hotel, bevor die Tests am anderen Ende der Welt beginnen konnten.

Zur Demonstration der Wirksamkeit stellte die neuseeländische Marine eine Fregatte der ANZAC-Klasse zur Verfügung, auf der MASS bereits installiert war. Somit fand die Testreihe unter realen Bedingungen statt, so dass das Täuschkörper-System seine volle Wirksamkeit zeigen konnte – in bester David-Copperfield-Manier. Die Aufgaben erledigte MASS mit Bravour – die Entscheidung für die Beschaffung war besiegelt.

Im Bereich der maritimen Täuschkörpersysteme ist MASS Weltmarktführer. Insgesamt 16 Nationen statten ihre Marineeinheiten mit der Täuschkörper-Munition von Rheinmetall aus.

The Last Line of Defence

Testreihen wie die in Australien sind ein Grund dafür, dass MASS Weltmarktführer im Bereich der maritimen Täuschkörpersysteme ist. „Wir stellen MASS ständig auf die Probe“, sagt Martin Fegg. Vor allem mit der Deutschen Marine, aber auch mit anderen Nutzerstaaten finden regelmäßig Angriffssimulationen unter Praxisbedingungen statt – denn auch die angreifenden Raketen werden ständig weiterentwickelt. „Jede Rakete hat ihren eigenen ,Fingerabdruck‘, auf den MASS regieren muss.“ Die Tests laufen seit 1995 – „da haben wir uns viel Know-how erarbeitet“.

2027 soll die letzte Stufe des Technologietransfers mit Australien abgeschlossen sein. Dass währenddessen das ein oder andere Problem auftauchen wird, „liegt in der Natur der Sache und ist der Komplexität des Auftrags geschuldet“, so Fegg. Dennoch ist er zuversichtlich, dass am Ende alles funktionieren wird, denn die Teams an beiden Enden der Welt sind hochmotiviert, alle Herausforderungen zu meistern, die sich auf dem langen Weg ergeben könnten. „Denn eines vergessen wir bei unserer Arbeit nie“, sagt Martin Fegg, „MASS ist the Last Line of Defence, die letzte Linie der Verteidigung. Wir haben die Verantwortung für Menschenleben und danach handeln wir.“

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