Wer baggert so spät noch …?
19. Februar 2024
15. August 2023
16 Nationen vertrauen der Täuschkörper-Technik MASS, der neueste Auftraggeber ist Australien. Die Erfinder des maritimen Abwehrsystems sitzen im malerischen Örtchen Schneizlreuth in Bayern – ein Wissenstransfer zum anderen Ende der Welt.
Über MASS
Ein feindlicher Marschflugkörper im Anflug auf eine Fregatte auf hoher See. Erreicht er sein Ziel, wird der Angriff viele Menschenleben kosten. Doch kurz vor dem Einschlag geschehen seltsame Dinge: Die Fregatte verschwindet hinter einer Art Vorhang aus Rauch und Lichtblitzen – fast wie ein Feuerwerk. Ist der Dunst verflogen, ist das Schiff verschwunden und die Rakete unverrichteter Dinge ins Meer gestürzt.
Diese spektakulären Szenen, die aussehen wie ein Zaubertrick von David Copperfield, gehören zu einem Demonstrationsvideo für MASS, kurz für Multi Ammunition Softkill System, einer hoch effektiven militärischen Abwehrmaßnahme. Insgesamt 16 Nationen statten ihre Marineeinheiten mit der Täuschkörper-Munition von Rheinmetall aus, als jüngster Kunde setzt Australien auf MASS.
Made in Schneizlreuth-Fronau
Mit Zauberei hat MASS freilich wenig zu tun, eher mit Fachwissen, Präzision – und einem langen Atem. Am besten weiß das Martin Fegg, der geistige Vater des Systems. Seit 1993, also seit 30 Jahren, beschäftigt sich der Physiker mit MASS. Damals noch im Auftrag der Firma Buck Fronau, die 1998 von Rheinmetall übernommen wurde. Inzwischen ist Fegg Produktbereichsleiter Schutz Softkill der Rheinmetall Waffe Munition. Der Standort im malerischen Örtchen Schneizlreuth-Fronau im Berchtesgadener Land ist mit rund 70 Mitarbeitern eine der kleinsten Niederlassungen des Konzerns. Klein, aber oho, denn MASS ist Weltmarktführer: „Der Fronauer Spirit ist im ganzen Konzern bekannt“, lacht Fegg.
Die meisten Staaten, die das Softkill-System von Rheinmetall verwenden, importieren Munition und Abschussanlagen aus Deutschland. Mit Australien verhält es sich anders: Der neue Auftrag geht mit einem Technologietransfer einher. Rheinmetall Defence Australia mit Sitz in Redbank bei Brisbane soll MASS in Lizenz fertigen und die Royal Australian Navy so vor Ort mit den Täuschkörper-Anlagen versorgen. „Der Auftrag ist der erste Marineauftrag dieser Art, den Rheinmetall in Australien erhalten hat, und stellt einen bedeutenden Meilenstein für den Ausbau der industriellen Präsenz in Australien dar“, freut sich Nathan Poyner, Geschäftsführer von Rheinmetall Defence Australia. Aber: Von heute auf morgen geht das nicht.
Step by Step
„Der Technologietransfer erfolgt fließend, Step by Step“, sagt Martin Fegg. Zunächst wird MASS auch für Down Under in Schneizlreuth produziert. „Unsere australischen Kollegen kommen hierher und werden in unserer Fertigung angelernt. Wir erstellen natürlich auch einen Dokumentensatz für Australien. Dann wird die Fertigung in Brisbane aufgebaut – das wiederum in Begleitung von deutschen Mitarbeitern, die bei der Inbetriebnahme dabei sind“, erklärt der Bereichsleiter. Allein dieser Prozess kann bis zu drei Jahre dauern. „Aber selbst nach dieser Phase kommen die Bauteile für das Werfer- und Munitions-Kit aus Deutschland.“ Erst wenn die Fertigung reibungslos läuft, kommen australische Zulieferer für die Bauteile ins Spiel.
Australien ist nicht die erste Nation, die auf die Produktion im eigenen Land setzt. Auch Kanada und Südkorea fertigen MASS in Lizenz. Für den Bereich Maritime Schutzsysteme von Rheinmetall ist Australien aber der bisher größte Einzelauftrag mit einem perspektivischen Volumen von bis zu 1 Milliarde Australischen Dollar (ca. 610 Millionen Euro). Zunächst sollen Zerstörer der Hobart- und Fregatten der ANZAC-Klasse der Royal Australian Navy mit MASS ausgestattet werden, mit Option zur Ausstattung der gesamten Flotte.
Eindrucksvolle Demonstration
Bevor sich das australische Verteidigungsministerium für MASS entschied, wurde das System vor Ort präsentiert – und das mitten in der Corona-Pandemie. Das bedeutete für Martin Fegg und sein Team zwei Wochen „Bonus“-Aufenthalt in einem Quarantäne-Hotel, bevor die Tests am anderen Ende der Welt beginnen konnten.
Zur Demonstration der Wirksamkeit stellte die neuseeländische Marine eine Fregatte der ANZAC-Klasse zur Verfügung, auf der MASS bereits installiert war. Somit fand die Testreihe unter realen Bedingungen statt, so dass das Täuschkörper-System seine volle Wirksamkeit zeigen konnte – in bester David-Copperfield-Manier. Die Aufgaben erledigte MASS mit Bravour – die Entscheidung für die Beschaffung war besiegelt.
The Last Line of Defence
Testreihen wie die in Australien sind ein Grund dafür, dass MASS Weltmarktführer im Bereich der maritimen Täuschkörpersysteme ist. „Wir stellen MASS ständig auf die Probe“, sagt Martin Fegg. Vor allem mit der Deutschen Marine, aber auch mit anderen Nutzerstaaten finden regelmäßig Angriffssimulationen unter Praxisbedingungen statt – denn auch die angreifenden Raketen werden ständig weiterentwickelt. „Jede Rakete hat ihren eigenen ,Fingerabdruck‘, auf den MASS regieren muss.“ Die Tests laufen seit 1995 – „da haben wir uns viel Know-how erarbeitet“.
2027 soll die letzte Stufe des Technologietransfers mit Australien abgeschlossen sein. Dass währenddessen das ein oder andere Problem auftauchen wird, „liegt in der Natur der Sache und ist der Komplexität des Auftrags geschuldet“, so Fegg. Dennoch ist er zuversichtlich, dass am Ende alles funktionieren wird, denn die Teams an beiden Enden der Welt sind hochmotiviert, alle Herausforderungen zu meistern, die sich auf dem langen Weg ergeben könnten. „Denn eines vergessen wir bei unserer Arbeit nie“, sagt Martin Fegg, „MASS ist the Last Line of Defence, die letzte Linie der Verteidigung. Wir haben die Verantwortung für Menschenleben und danach handeln wir.“
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