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The Scandinavian Challenge

1. Dezember 2022

Zwei Nationen, ein Auftrag: Norwegen und Schweden orderten bei Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH über 650 militärische Lkw und Anhänger. Die Herausforderung lag nicht in der hohen Stückzahl – die insgesamt 42 benötigten Varianten machten die Produktion und Abwicklung für alle Beteiligten zum Mammutprojekt.

Die Übergabe fand auf dem Militärstützpunkt Sessvollmoen in der Nähe von Oslo statt. (Bild oben und Bild hier: IMAGO / xGormxKallestadx/xNTBx)

Zwei Staaten als ein Auftraggeber – hier ist viel bilateraler Abstimmungsbedarf notwendig. Norwegen und Schweden sind eng miteinander verbunden, haben aber letztendlich individuelle Bedürfnisse. Während Schweden für seine Lkw eine vergleichsweise einfache Ausstattung wünschte, war es bei Norwegen eher umgekehrt.

Ursprünglich waren nach Unterzeichnung des Vertrags 23 Lkw-, zwei Anhängervarianten und eine Flat-Rack-Variante vorgesehen. Im Laufe der Jahre wurden 38 verschiedene Lkw- und vier Anhänger-Konfigurationen daraus – zum Teil in kleinsten Stückzahlen. „Wir mussten als Unternehmen dazulernen“, sagt Dr. Alexander Abeler. Der Senior Vice President Programs bei Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH (RMMV) begleitet das Projekt seit Ende 2015 – „aufgrund der vertraglichen Vorgaben zum Entwicklungsprozess haben wir bei der Entwicklung von neuen Fahrzeugvarianten quasi wieder bei null angefangen.“

Der Auftrag hat eine lange Vorgeschichte: Schon im Jahr 2008 erarbeitete eine Projektgruppe der norwegischen Streitkräfte den Anforderungskatalog für neue militärische Logistikfahrzeuge. Im Jahr 2013 erhielt RMMV den Zuschlag – zuvor holte Norwegen noch Schweden als gemeinsamen Auftraggeber mit an Bord. Am 31. März 2014 schloss die norwegische Beschaffungsbehörde NDMA dann mit ihrem schwedischen Äquivalent, der Beschaffungsbehörde FMV in Stockholm, ein bis 2025 ausgelegtes Rahmenabkommen mit RMMV über die Lieferung militärischer Logistikfahrzeuge. Der erste Abruf aus dem Rahmenvertrag umfasste 335 HX (High Mobility Trucks) und TGS-Mil (militarisierte Lkw) Fahrzeuge sowie Anhänger.

Ein 44M-Hakenlader wird von einem norwegischen Soldaten inspiziert.
(Bildquelle: IMAGO / xGormxKallestadx/xNTBx)

Eine echte Herausforderung

Alle Modelle hatten eines gemeinsam: Hochaufwändige technische sogenannte Requirements und Meiensteindokumentationen waren zu erfüllen, bevor die Produktion startete. Von der Ansprengung über die Kühlkammer bis zur elektromagnetischen Verträglichkeit – es gab 600 bis 700 technische Anforderungen, und zwar pro Fahrzeug.

Wie unterschiedlich zum Teil von den auftraggebenden Nationen gedacht wurde, zeigt dieses Beispiel für eine Lkw-Spezifikation mit Kran – Alexander Abeler: „Norwegen benötigte den Kran hinten, Schweden hingegen vorne. Zudem wünschten sich die Norweger noch jeweils eine geschützte und ungeschützte Version des Fahrzeugs.“ So wurden aus ursprünglich einer geplanten Variante vier, wunschgemäß teils mit Panzerschutz.

Der Reiz seiner Aufgabe liegt für Alexander Abeler nicht nur in der Lösung technischer Anforderungen, sondern auch in der interkulturellen Zusammenarbeit mit internationalen Kunden: „Verhandlungen oder Entscheidungsprozesse im internationalen Umfeld laufen niemals einheitlich ab. Diese Differenzen zu verstehen und in der Abwicklung von Projekten umzusetzen, macht meine Arbeit spannend.“ So erwarten manche Kunden eine sachlogische Herleitung der optimalen Lösung, während andere Kunden nur dann zu einer Entscheidung kommen, wenn sie selber aus unterschiedlichen vorgestellten Lösungen auswählen können.

Für eine der größten Herausforderungen sorgte im Projekt für Norwegen und Schweden die Erstellung des ILS-Pakets. ILS steht für Integrated Logistic Support und ist eine bis ins kleinste Fahrzeugdetail abgestimmte Betriebs- und Wartungsanleitung. „Normalerweise wird das finale ILS-Paket nach Fertigstellung des Fahrzeugs erarbeitet, weil so eventuelle Änderungen aus der Erprobung des Vorläuferfahrzeuges bzw. der Produktion miterfasst werden,“ erklärt Alexander Abeler.Bei diesem Auftrag sollten die finalen Bedienungs- und Wartungsanleitungen vor dem Fahrzeug ausgeliefert werden: „Bei jeder Modifikation am Fahrzeug mussten wir die ILS-Dokumentation überarbeiten – das hat Zeit gekostet.“ Vielfach musste die Auslieferung von fertigen Fahrzeugen verzögert werden, weil das finale ILS-Paket noch in Erstellung war.

Challenge gemeistert! Das Projektmanagement-Team von RMMV. Hintere Reihe (v.l.): Dr. Alexander Abeler, Hauptabteilungsleiter Programme, Florian Wenninger, Projektmanager, Maximilian Hein, Werkstudent, Markus Will, Programm Manager. Vordere Reihe (v.l.): Nadine Kober, Projektmanagerin, Nurten Karapinar, Projektassistenz/Order Center, Frank Bader, Projektmanager.

So waren von RMMV-Seite Projektmanagement, Engineering, Einkauf und Qualitätsmanagement fast immer parallel im Einsatz – quasi mit Standleitung nach Skandinavien. Die Einrüstung von Kundenequipment erfolgte in dafür von der RMMV qualifizierten Werkstätten in Norwegen und Schweden.

Die Transportlogistik war im Vergleich zu den vorhergehenden Anforderungen ein Klacks. Die Fahrzeuge fuhren auf eigener Achse vom RMMV-Werk Wien nach Skandinavien. Das sparte nicht nur Kosten – auf diese Weise absolvierten die Lkw ganz „nebenbei“ den Praxistest. Insgesamt gingen bis zum heutigen Zeitpunkt 323 Fahrzeuge nach Schweden, 109 nach Norwegen. Weitere 220 Lkw wurden bereits abgerufen (95 für Norwegen, 125 für Schweden) und werden in den kommenden Monaten ausgeliefert. Auch bis zum Ende des Rahmenvertrages im Jahr 2025 rechnet RMMV mit weiteren Fahrzeugabrufen im hohen dreistelligen Bereich.

Dieser positive Auftragsverlauf wirkt sich auch auf weitere Konzerngesellschaften aus. Die geschützten Fahrzeugkabinen liefert Rheinmetall Waffe Munition aus der Fertigung, die gemeinsam mit Rheinmetall Landsysteme im niedersächsischen Unterlüß betrieben wird. Die ILS-Dokumente werden von Rheinmetall Technical Publications erstellt. Darüber hinaus werden Teile der Kabinenausstattung (C4I) von Rheinmetall Norway entwickelt und geliefert.

Was lange währt…

In Schweden kamen die ersten TG-Trucks Ende 2017 an, die ersten HX-Trucks im Herbst 2020. Norwegen erhielt seine ersten Fahrzeuge im August 2022. Michael Wittlinger, Vorsitzender der Geschäftsführung von RMMV, übergab persönlich die HX- und TGS-Mil-Lkw im Rahmen einer Zeremonie an die norwegische Armee. In seiner Rede bezeichnete er das Projekt als „anspruchsvollstes Vorhaben bei Rheinmetall MAN Military Vehicles“.

Was lange währt, wird endlich gut – diese Weisheit hat sich für Norwegen, Schweden und RMMV gleichermaßen bewahrheitet. Die Ergebnisse der „Scandinavian Challenge“ sind erstklassig – schon deshalb hat sich das Warten gelohnt. Jedem Beteiligten war bewusst, dass hier Neuland betreten wurde. Die Herausforderungen waren groß – mit vertrauensvoller Zusammenarbeit und echtem Teamwork wurden sie gemeistert.

ÜBER RMMV: Gegründet 2010, ist Rheinmetall MAN Military Vehicles GmbH, kurz RMMV, eine Joint-Venture-Gesellschaft, an der die Rheinmetall AG mit 51 % und die MAN Truck and Bus SE mit 49 % beteiligt ist. Die GmbH hat ihren Hauptsitz in München und produziert ihre Fahrzeuge am Standort in Wien.

Rundum getestet

Ein 45M Recovery beim Tiefwat-Test im Wasserkanal.
Elektromagnetische Verträglichkeit ist eine wichtige Eigenschaft. Auch darauf wurden die Fahrzeuge auf Herz und Nieren geprüft.
Aufwändige Tests für jede Fahrzeugvariante: Ein TG MIL 04M wird hier in der Kühlkammer einer Temperatur von -42° C ausgesetzt.
Der TG MIL 03M muss im Test eine Steigung von 62 Prozent bewältigen.

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