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Neue europäische Industriestrategie

7. Oktober 2024 - von Dr. Theodor Benien

Mit ihrer im März 2024 vorgelegten Strategie will die Europäische Kommission die Verteidigungsbereitschaft Europas verbessern. Ihr Appell an die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU): mehr, besser, gemeinsam und in Europa investieren.

(Foto: European Union, 2019 | Stine Heilmann)

EU-Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager

„Mit unseren Verteidigungsausgaben werden zu viele verschiedene Waffensysteme beschafft, die in erster Linie aus Nicht-EU-Ländern bezogen werden. Mit den mittlerweile in allen Mitgliedstaaten stark aufgestockten Verteidigungshaushalten sollten wir besser – das heißt gemeinsam und in Europa – investieren…“

(Foto: European Union, 2019 | Dati Bento)

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell Fontelles

„Eine starke, resiliente und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist eine strategische Notwendigkeit. Ohne sie können wir unsere Verteidigungsbereitschaft nicht stärken.“

(Foto: European Union, 2019 | Lukasz Kobus)

EU-Kommissar Thierry Breton

„Mit dem Programm für die europäische Verteidigungsindustrie präsentiert die Kommission jetzt ein ehrgeiziges Instrument, so dass die konkrete Umsetzung der Strategie unmittelbar beginnen kann. (…) Deshalb kann Europa nicht länger damit zuwarten, die Fähigkeit der technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung auszubauen, damit mehr und schneller produziert werden kann.“

Das neue EU-Dokument aus Brüssel besteht im Wesentlichen aus zwei Säulen: In der European Defence Industrial Strategy (EDIS) wird eine langfristige Vision und Strategie für die Verteidigungsindustrie in Europa entworfen. Zur Umsetzung dieser Strategie wird EDIS durch ein „European Defence Industry Programme“ (EDIP) ergänzt und ein Rahmen für die rechtzeitige Lieferung sowie Verfügbarkeit von Verteidigungsgütern beschrieben. So wie die USA insbesondere unter Ex-Präsident Donald Trump ein „Buy American“ propagieren, ruft die Kommission ihre Mitgliedstaaten indirekt zu einem „Buy European“ auf. EDIS ist eine gemeinsame Kommunikation, die von der Wahrnehmung jedes einzelnen EU-Mitgliedstaates abhängig ist. Dies wird sich noch in den gegenwärtigen Verhandlungen des Vorschlags der Kommission zu EDIP herauskristallisieren. Das Ziel der Europäischen Kommission ist aber schon jetzt glasklar: die nachhaltige Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie. Damit die Mitgliedstaaten das politische Ziel erreichen können, wird in dem 31 Seiten umfassenden Dokument ein Aktionsplan vorgestellt. Zu den geplanten Maßnahmen gehören unter anderem:

  1. Die Nachfrage im Verteidigungsbereich fördern. Diese Maßnahme wird auf bestehenden Initiativen wie zum Beispiel dem Fähigkeiten-Entwicklungs-Plan (CDP) und der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (SSZ) beruhen.
  2. Die Verfügbarkeit sämtlicher Verteidigungsgüter gewährleisten. Investitionen der Mitgliedstaaten und der europäischen Verteidigungsindustrie in moderne Technologien sollen gefördert werden.
  3. Eine „Kultur der Verteidigungsbereitschaft“ in allen Politikbereichen etablieren.
  4. Ausbau engerer Beziehungen zur Ukraine und ihrer Verteidigungsindustrie
  5. Die Zusammenarbeit mit der NATO und strategisch gleichgesinnten Partnern intensivieren und eine engere Kooperation mit der Ukraine entwickeln.

In der EDIS-Strategie werden einige Indikatoren festgelegt, damit die von den Mitgliedstaaten erzielten Fortschritte auch gemessen werden können. Die Staaten in der EU werden aufgerufen, drei konkrete Ziele zu erreichen:

Erstens: Bis 2030 sollen mindestens 40 Prozent der Verteidigungsgüter auf kooperative Weise beschafft werden.
Zweitens: Der EU-interne Handel mit Verteidigungsgütern soll bis 2030 wertmäßig mindestens 35 Prozent des EU-Verteidigungsmarkts ausmachen.
Drittens: Die EU-Mitglieder sollen sich dem Ziel, bis 2030 mindestens 50 Prozent ihres Beschaffungshaushalts im Verteidigungsbereich innerhalb der EU auszugeben und diesen Anteil bis 2035 auf 60 Prozent zu steigern, ständig annähern.

Die zweite Säule des EU-Dokuments ist das Programm für die europäische Verteidigungsindustrie (EDIP). Es wird als neue Gesetzgebungsinitiative eine Brücke schlagen zwischen kurzfristigen Sofortmaßnahmen, die 2023 angenommen wurden und 2025 auslaufen, sowie einem stärker strukturierten und längerfristigen Ansatz für die künftige industrielle Bereitschaft im Verteidigungsbereich. EDIP sieht vor, dass im Zeitraum 2025 bis 2027 finanzielle Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bereitgestellt werden.

EDIP leitet sich aus drei bereits bestehenden Initiativen ab und verbindet sie miteinander: Für den Bereich der Forschung und Entwicklung (R&D) ist das der European Defence Fund (EDF), für den Bereich des Production Ramp Up ist das der Act in Support of Ammunition Production (ASAP) und für die gemeinsame Beschaffung ist es der European Defence Industry Reinforecement through common Procurement Act (EDIRPA).

Bewertung der politischen Initiative

Die Strategie zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie kann als eine dringend notwendige politische Initiative beurteilt werden, von der einige Beobachter meinen, dass sie längst überfällig ist. Kritik besteht auch am kurzen Zeitraum von EDIP (2025–2027) sowie an der geringen Höhe der finanziellen Mittel von nur 1,5 Milliarden Euro. Wird dies wirklich ausreichen? Auch wenn zusätzlich die bedeutenden Etaterhöhungen der EU-Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind, lässt sich mit 1,5 Milliarden Euro in Europa bekanntlich nicht viel bewegen. Entscheidend ist, dass die Kommission mit diesem Pilotprojekt ihre Politik für die europäische Verteidigungsindustrie in einem umfassenderen Nachfolgeprogramm langfristig institutionalisieren will.

Und dennoch: Wunsch und Wirklichkeit scheinen hier auseinanderzuklaffen. Wer im internationalen Wettbewerb mit den USA, Japan und China vorne mitmischen will, sollte „klotzen und nicht kleckern“. Ein Beispiel: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat bei der Vorstellung der Industriestrategie zwei Zahlen genannt, die den Unterschied zwischen den USA und Europa einmal mehr verdeutlichen. Im Jahr 2022 hat das US-Verteidigungsministerium laut Borrell für Waffen und Munition 215 Milliarden Euro ausgegeben, die 27 EU-Staaten dagegen nur rund 58 Milliarden Euro. Dieser Vergleich veranschaulicht den Unterschied zwischen einer Weltmacht wie den USA und der EU, die zwar als wirtschaftlicher Global Player anerkannt ist, aber wohl noch einige Jahre brauchen wird, um auch als geeinte politische Weltmacht respektiert zu werden.


Autor

Dr. Theodor Benien

hat über 30 Jahre als Leiter Kommunikation in verschiedenen Divisionen der Airbus-Gruppe gearbeitet und war zuletzt Vice President Communications im Eurofighter-Konsortium. Seit 2020 arbeitet er als selbstständiger Kommunikationsberater mit Schwerpunkt „Internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik“

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