
Vom Exporteur zum Global Player
4. September 2025
Verbrennungsmotor oder Elektroantrieb? Beide Konzepte punkten auch jenseits reiner Zahlen, Daten und Fakten mit emotionalen Momenten und hohem Fahrspaßniveau. Das Duell der Kontrahenten läuft nahezu zwangsläufig auf ein Unentschieden hinaus.
Verbrennungsmotor
Ein Verbrennungsmotor wird nicht nur einfach gestartet, er wird vielmehr zum Leben erweckt. Im Leerlauf vibriert er dann mit leichtem Ruhepuls ein- und ausatmend neuen Aufgaben entgegen. Ein Gasstoß, und das begierige Brabbeln mutiert zum angriffslustigen Fauchen. Kein Zweifel, hier ist ein extrovertiertes Wesen am Werk, das gerne auch akustisch zeigt, was es kräfteseitig kann. Bei der Fahrt ergibt sich im Zusammenspiel des Motors mit den Gangstufen des Getriebes eine Symbiose, die in einer einzigartigen, ja sinnlichen Leistungsentfaltung mündet. Sie verläuft nicht mathematisch linear, sondern folgt eigenen Gesetzen; man spürt, dass sich Fachleute mit Benzin im Blut im komplexen Kurvengeflecht aus Leistung und Drehmoment an ein Optimum herangetastet haben. Nach getaner Arbeit beendet ein kurzer Druck auf den Aus-Knopf den Lebensreigen des Motorlaufs. Spritzufuhr und Zündung werden gekappt, eine letzte Kurbelwellenumdrehung, und nur noch das Tickern und Tackern des Abkühlens zeugt vom vorhergehenden Muskelspiel. Der Verbrennungsmotor mag im Vergleich mit anderen Antriebskonzepten ein Raubein alter Schule sein, aber eines mit Seele und Charakter. Ob Familienvan, Sportwagen, Schwerlast-Lkw, Baumaschine oder Ozeanriese auf großer Fahrt – am Verbrennungsmotor führt kein Weg vorbei. Das gilt insbesondere, wenn dauerhaft hohe Leistungen gefordert sind, etwa im industriellen Bereich, aber auch im Motorsport. Kneifen ist ein Fremdwort in seiner Welt, er ist als kräftiger Ausdauersportler unangefochtener Langstreckenmeister, während beim Elektroantrieb der viel zu teuren Batterie schon nach kurzem Sprint die Ladungspuste ausgeht. Reichweite ist beim Verbrennungsmotor einzig durch das Tankvolumen definiert.
Dass Emissionstricksereien und Betrugsskandale dunkle Schatten auf seine Vergangenheit werfen, kann man ihm heute nicht mehr anlasten. Zumal er aus technischer Sicht zweifellos das Zeug zum Saubermann hat. Das Ziel der Entwickler sind „Zero Impact Emissions“, also Schadstoffe in einer Konzentration unterhalb der Nachweisgrenze. Die dazu notwendigen Abgasnachbehandlungssysteme sind schon heute am Markt verfügbar und müssen lediglich entsprechend dimensioniert und angepasst werden.
Bei den klimaschädlichen Kohlendioxiden hilft nur eine Defossilisierung durch alternative Kraftstoffe. Natürlich ist diese Idee nicht neu, schon Henry Ford wollte sein legendäres Model T eigentlich mit Biosprit betreiben. Diesen sollten die Farmer in den USA aus ihren Ernteabfällen erzeugen und am besten direkt am Straßenrand verkaufen. Wie wir wissen, kam es anders, weil die Ölindustrie den Markt sehr schnell mit einem großflächigen Tankstellennetz aufrollte.
Kritiker führen beim Stichwort alternative Kraftstoffe gerne einen Wirkungsgradnachteil bei der Erzeugung gegenüber der direkten Nutzung von Strom aus Wind- und Sonnenkraftwerken im Elektroauto ins Feld. Letztlich ist dieser Einwand müßig, denn wenn wir es ernst meinen mit den selbstgesteckten CO₂-Zielen in Deutschland und in der EU, werden wir ohnehin beide Energieformen parallel einsetzen müssen. Fakt ist, dass wir in Deutschland gar nicht so schnell Windräder, Solarpanels und Versorgungsleitungen in ausreichender Anzahl aufbauen können, wie wir sie für die großen Mengen alternativer Energien beim Ausstieg aus fossilen Brennstoffen benötigen. Von der unzureichenden Elektroauto-Marktdurchdringung ganz zu schweigen. Was spricht dann gegen den pragmatischen Ansatz, in bevölkerungsarmen, aber wind- und sonnenreichen Gebieten der Erde grüne Energie zu produzieren und zu importieren? Profitieren würden beide Parteien, den oftmals unterentwickelten Regionen täte ein Wirtschaftsschub gut und wir wären weniger vom Wohl und Wehe der Elektromobilität und seiner Haupt-Player in China abhängig. Auch würden wir unsere Wirtschaft nicht ganz so stark einbremsen. Ob der Preis der Kraftstoffe aus regenerativen Quellen wettbewerbsfähig gegenüber einer Direktverstromung heimischer Sonnen- und Windenergie ist, sollte statt am grünen Tisch doch besser durch die Kräfte des Marktes entschieden werden. Ein weiterer Pluspunkt von E-Fuels, also alternativen Kraftstoffen mit ähnlichen chemisch-physikalischen Eigenschaften wie Benzin oder Diesel, ist die Rückwärtskompatibilität mit den Fahrzeugen im Feld. E-Fuels können fossilen Kraftstoffen zugemischt oder sogar in Reinform getankt werden und machen jedes Fahrzeug der Bestandsflotte zum klimafreundlichen Ökomobil. Der Verbrennungsmotor ist noch lange kein Alteisen!
Elektroantrieb
Der batterieelektrische Antrieb lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Gas geben und Spaß haben! Die unübertroffene Leistungsentfaltung des Elektromotors, der sein Maximaldrehmoment ab der ersten Umdrehung bereitstellt, zusammen mit der direkten Kraftübertragung ohne leistungsfressende Anfahrkupplung und Zugkraftunterbrechung in den Schaltpausen führt zu einem Beschleunigungsvermögen, das einem unweigerlich ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Beim beherzten Tritt auf das Fahrpedal fühlt man sich im Elektroauto mitunter wie in einem Dragster, der auf der Viertelmeile seinen Konkurrenten im Beschleunigungsduell ausstechen will. Der triumphierende Blick gilt dem Tor auf der Nebenspur, der versucht, in seinem antiquierten Verbrenner Paroli zu bieten.
Während der Fahrer Glücksmomente im Überschwang genießt, übt sich der Elektroantrieb in kühler Zurückhaltung. Er ist zwar präsent, wird aber nie aufdringlich und lässt lieber Taten für sich sprechen. Statt Benzin fließen beim Elektroauto Elektronen. Plus und Minus, Kathode und Anode, Elektronen und Protonen, Ladung und Entladung – wer will einem Antrieb, dessen Wirkprinzip auf dem Ausgleich von Ladungen beruht, der also gewissermaßen die perfekte Harmonie anstrebt, etwas Besänftigendes absprechen, zumal in unserer heutigen polarisierten Welt? Denn wenn der Fahrer es wünscht, kann der Elektroantrieb auch anders. Man fährt behutsam, gleitet über die Straße und genießt die souveräne Kraftentfaltung. Da der Elektroantrieb nahezu lautlos arbeitet, bestimmen Fahr- und Windgeräusche sowie Nebenaggregate wie Lüftung, Servolenkung und Bremssystem die angenehm leise Geräuschkulisse. Das Auto wird zur Wellness-Oase, die mit weiteren Ausstattungsdetails wie Massagesitzen und Infotainmentfunktionen oftmals mehr Komfort als das heimische Wohnzimmer bietet. Der Schritt zum automatisierten Fahren, bei dem man sich durch einen elektronischen Autopiloten den Strapazen des Alltagsverkehrs vollständig entledigt, ist da nicht mehr weit. Zudem freut man sich, lokal CO₂-emissionsfrei unterwegs zu sein.
Der unerreichte Komfort des Elektroantriebs und die einfache Handhabung waren schon Treiber des ersten Elektroauto-Booms, der Ende des 19. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. Im Jahr 1900 waren in den USA 40 Prozent des Fahrzeuggesamtbestands mit einem Elektroantrieb ausgerüstet, in New York betrug die Quote sogar 50 Prozent. Der Höhepunkt der Elektroautowelle wurde 1912 erreicht, danach ging es steil bergab, bis Elektroautos nur noch eine Randnotiz der Technikgeschichte waren. Nachdem die Elektromobilität das Rennen um die Krone der künftigen Antriebsevolution vor ein paar Jahren erneut aufgenommen hat, macht sie im Eiltempo Boden gegenüber dem Verbrennungsmotor gut und hat ihn an vielen Stellen schon überholt. Die Hebel für technische Weiterentwicklungen sind vielfältig. Beim Elektromotor stehen unter anderem Hochdrehzahlkonzepte, bessere thermische Wärmeableitung für höhere Dauerleistungen sowie allgemein Maßnahmen zur Effizienzsteigerung im Lastenheft. Das größte Innovationspotenzial bietet jedoch die Batterietechnik. Dabei wird die Schere bei der Batterieentwicklung künftig weiter aufgehen: Auf der einen Seite stehen preiswerte, aber relativ leistungsschwache Systeme für den Massenmarkt wie Lithium-Ferrophosphat- und Natrium-Ionen-Batterien, auf der anderen Seite High-tech-Lithium-Ionen-Batterien für hohe Leistungsanforderungen und ultraschnelles Laden. Dabei gilt die Feststoffbatterie als Maß der Dinge der nächsten oder übernächsten Speichergeneration. Auch müssen bei den Batterien noch dringend Probleme gelöst werden, die mit dem oftmals umweltschädlichen Abbau der Rohstoffe und den Arbeitsbedingungen in den Minen vor Ort sowie geopolitischen Spannungen mit den Exportländern zusammenhängen.
Das Auto von morgen fährt zweifellos elektrisch. Das wusste auch der Filmemacher Robert Zemeckis, der den DeLorean im Blockbuster „Zurück in die Zukunft“ vom findigen Doc Brown auf Elektroantrieb umbauen ließ, bevor er ihn auf Zeitreise schickte. Schon heute bieten Elektroautos lokal emissionsfreie Mobilität sowie ein hohes Maß an Fahrspaß und Komfort. Dank ständiger Weiterentwicklung werden sie bald alles noch besser können und preiswerter werden. Die Frage ist daher nicht, ob, sondern wann man einsteigt und in die elektrifizierte Zukunft startet. Bei Doc Brown war es 1985.
Richard Backhaus
ist Technikjournalist und beschäftigt sich schon seit mehr als 30 Jahren mit allen Themen rund um die künftige Mobilität.
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